„Keine Lederjacken mit Nieten, sondern grellbunte Klamotten aus dem Second Hand Shop“: Die Toten Hosen 1983

Foto Peter Gruchot

Wir sprachen über die Strategie, auch innerhalb von Punk zu irritieren und nicht das zu machen, was alle machen. Das habt ihr in den ersten Jahren der Toten Hosen weiter auf die Spitze getrieben. Ihr hattet keine Lederjacken mit Nieten, sondern grellbunte Klamotten aus dem Second Hand Shop. Oder ihr habt deutschen Schlager gecovert. Kann man eure Affinität zu Fußball auch in diesem Sinne deuten? Das Verhältnis zwischen Punk und Fußball war ja anfangs schwierig, in Düsseldorf sind die Fortuna-Fans auf Punkerjagd gegangen.

(überlegt) Ich glaube, das war eine Annäherung von beiden Seiten. In Hamburg sind die Punks irgendwann einfach zu St. Pauli gegangen, haben ihre Totenkopffahnen gemalt und den Verein gewissermaßen übernommen. Das hat sich dann verselbstständigt und eine völlig andere Szene hervorgerufen. Davor war St. Pauli so ein kleiner muffiger Reeperbahnverein mit irgendwelchen alten Opas als Zuschauern. Total spießig. Dass man diesen Sport auch völlig anders und nicht mehr so stinkkonservativ wahrnehmen konnte, ist in Deutschland erst in der damaligen Zeit losgegangen.

In England war Fußball immer schon mehr Popkultur. George Best mit seinen wehenden Haaren.

Spieler haben Singles aufgenommen - und zwar keine Schlager, sondern Popmusik. Punks und vor allem Skins gingen auch zum Fußball. Die Skinheads waren anfangs auch nicht politisch und der Rechtsradikalismus schlich sich erst mit den Jahren in die Szene ein. In Düsseldorf war es zum Beispiel der KFC, die Band von Tommi Stumpff, die schon bei ihren ersten Konzerten ständig von Fortuna geredet hat. Der KFC hat das viel mehr kultiviert als wir. Wir waren da erstmal zurückhaltender. Später ging das aber auch bei ZK los, dass wir hinten auf der Bühne eine Düsseldorf-Flagge hatten und diesen Lokalpatriotismus hochleben ließen. Fabsi ist ja auch so ein Karnevalstyp. Karneval, Fußball, Eishockey, das ging alles miteinander einher.

Im Prinzip habt ihr euch das angeeignet.

Ja, aber ich habe Fortuna Düsseldorf damals nicht offensiv zelebriert, sondern war zurückhaltend, mein Verein war halt Liverpool. Bei ZK wollte ich Liverpool aber nicht groß nach vorne pushen. Allerdings war es auch bei uns so, dass wir immer einen Ball dabei hatten, um uns nach Stunden auf der Autobahn die Beine zu vertreten und neben irgendeiner Raststätte Fußball zu spielen. Ich erinnere mich auch an eine wilde Nacht im „Chaos“, einer Berliner Kneipe. Irgendwann hat der Wirt alle Leute außer uns rausgeschmissen und wir haben in diesem Laden so lange Fußball gespielt, bis wirklich alle Gläser aus den Regalen geschossen waren. In der Nacht sind zwei von uns noch ins Krankenhaus gekommen. Einer davon war Fabsi. Sie hatten sich die Füße an den Splittern aufgeschnitten.

Immer einen Ball dabei: Früher bei ZK und auch später bei den Hosen. 1984 mit Aram(†) & Bollock(†)

„Irgendwann hat der Wirt alle Leute außer uns rausgeschmissen und wir haben in diesem Laden so lange Fußball gespielt, bis wirklich alle Gläser aus den Regalen geschossen waren.“

Dann lass uns das Thema Fußball doch vertiefen. Dein Buch handelt immerhin maßgeblich vom Liverpool FC. Du hast den Verein als Kind in Fußballmagazinen bei deinen englischen Cousins entdeckt. War es im Endeffekt Zufall, dass dir ausgerechnet Liverpool in diesen Heften am besten gefallen hat? Hätte es theoretisch auch Manchester United werden können?

Nein, das kann ich ausschließen.(lacht) Das ist eine intuitive Entscheidung gewesen. Natürlich hatte ich als kleiner Junge von nichts eine Ahnung und es war nur eine Fantasiewelt, die ich mir da zusammengebaut habe. Aber vielleicht war es eben doch kein Zufall. Wie bei Babys, die die Laune ihrer Eltern spüren, ohne dass sie die Sprache verstehen. Das sind einfach Vibes, die man empfängt. Ich habe in den Shoot!-Magazinen meiner Cousins Berichte über viele verschiedene Vereine gelesen. Es kann sein, dass mich das, was die Liverpooler in den Interviews über ihre Mannschaft gesagt haben, besonders fasziniert hat. Ich weiß nicht, warum man dann als kleiner Junge sagt, „Das gefällt mir!“. Vielleicht waren es auch die Trikots oder ein bestimmter Spieler. Ich meine, wenn da einer Steve Heighway oder Kevin Keegan heißt - was für tolle Namen! Es waren wahrscheinlich solche Oberflächlichkeiten. Oder eben doch Sympathien, die man nicht erklären kann.

Auf jeden Fall bist du Jahrzehnte später immer noch ein beinharter Livepool-Fan. Heute spielt dein Team im Derby gegen den FC Everton und du kriegst schon die ganze Zeit Nachrichten auf dein Handy von befreundeten Liverpool-Anhängern. Dein Bandkollege Breiti hingegen hat, wie du schreibst, keine Lust mehr auf diesen „Kommerzfußball“. Was sagst du dazu eigentlich?

Ich respektiere das erstmal. Das ist eine sehr komplexe Diskussion, denn ich glaube, dass auch im Sport in viel kleineren Bereichen von einer Gleichbehandlung nicht die Rede sein kann. Schon als kleiner Junge, der beim TSV Metzkausen gespielt hat, musste ich immer mit ansehen, wie sich die besten Spieler des Landes beim großen Lokalstern Fortuna Düsseldorf beworben haben. Wenn du gegen Fortuna gespielt hast, hattest du keine Chance. Die hatten die besseren Trainingsplätze, mehr Trainingseinheiten und haben den Spielern teilweise schon professionelle Klamotten gegeben. Da konnte von Gleichheit keine Rede sein. Im Grunde sind so auch die heutigen Verhältnisse im Profifußball, nur eben noch mal völlig übersteigert. Keiner kommt in Deutschland am FC Bayern vorbei, jeder Spieler möchte dahin, dort gibt es auch die besten Gagen. Eigentlich spricht alles dagegen, dass ein kleiner Verein wie Union Berlin den Bayern jemals einen Punkt abnimmt. Aber an manchen Tagen erwischt dann so eine Mannschaft einen besonderen Moment und kann auf einmal den Giganten schlagen. Darauf warten ja immer alle.

Jetzt argumentiert Breiti, dass in der englischen Liga alles noch viel perverser ist, dass es dort Oligarchen gibt, die die Vereine besitzen und so weiter.

In einer sachlichen Auseinandersetzung müsste ich ihm da in vielen Punkten Recht geben - es ist eine riesige Unterhaltungsindustrie mit hässlichen Begleiterscheinungen. Ein weltweites, kommerzorientiertes Produkt. Das ist mir alles total klar und wenn man das bis aufs Kleinste auseinandernimmt, kann man vermutlich nicht mehr mit ganzem Herzen Fan sein. Also verschließe ich meine Augen hier und da und lasse als Supporter auch mal alle Fünfe gerade sein. Die andere Seite der Medaille ist: Gerade in der englischen Liga ist das mit den Gehältern mittlerweile so explodiert, dass eine durchschnittliche Mannschaft an einem guten Tag jederzeit auch den Tabellenführer schlagen kann. Letztendlich stehen in jedem Team nur elf Spieler auf dem Platz. Die teuerste Mannschaft der Welt kann gegen die Nummer 50 der Welt an einem schlechten Tag durchaus verlieren, denn so, wie die Gagen unproportional höher sind, verhält es sich eben nicht mit der Fähigkeit der Spieler. Das ist faktisch unmöglich.

Insofern ist die englische Liga spannender als die deutsche, denn da kann jederzeit jeder jeden besiegen.

In den letzten acht Jahren gab es auch ständig einen anderen Meister, im Gegensatz zur deutschen Bundesliga. In der Hinsicht hebt sich der finanzielle Vorteil der Vereine in England selbst auf und das macht es wieder spannend.

Aber klar, wenn du mich fragst, ob man diese Abermillionen nicht sinnvoller und nachhaltiger investieren könnte, dann stehe ich da und bin ausgehebelt. In den USA gibt es im Sport so ein Draft-System. Vor einer Meisterschaft hat der Schwächste der Liga die erste Wahl, sich einen neuen Spieler zu kaufen. Es gibt Deckelungen im Gehalt und die Verteilung der Sportler auf die Mannschaften verläuft nach einem viel faireren Schlüssel als in Europa. Dieses amerikanische System würde uns hier wahrscheinlich auch gut tun. Aber ich fürchte, man kann das nicht mehr rückgängig machen.

Die Stadionhymne des FC Liverpool ist bekanntlich „You’ll Never Walk Alone“ in der Version der Liverpooler Mersey Beat-Gruppe Gerry & The Pacemakers. Der Songtitel steht sogar im Vereinslogo. Bei einem normalen Hosen-Konzert wird der Song traditionell als letztes gespielt. Würdest du sagen, dass das dein Lieblingslied ist?

Es ist auf jeden Fall das Meistgesungene, das kann ich bestätigen. Weil ich das eben nicht nur auf der Bühne oder im Proberaum zum Besten gebe, sondern auch in meiner Freizeit.

(lacht)

Auf jeden Fall das am meisten gesungene Lied von Campino: „You’ll never walk alone“

Foto Bastian Bochinski

Dadurch gehört es definitiv in die Top 20 meines Lebens. Aber es gibt auch andere Songs, die ich nicht aus meiner Biographie radieren könnte. „Killing In The Name“ von Rage Against The Machine ist so ein Lied, das mich immer fasziniert hat. Oder „Fireball“ von Deep Purple - unglaublich, wie lange ich daran als kleiner Junge festgehalten habe. Ich könnte dir hundert Songs nennen, die mir alle immens wichtig waren.

Aber lass uns bei „You’ll Never Walk Alone“ bleiben. Weißt du noch, wann ihr das Lied das erste Mal live gespielt habt?

Ich kriege das tatsächlich nicht mehr genau zusammen. Für mich war auf jeden Fall ein Schlüsselmoment, als ich mit den anderen Hosen Anfang der Achtziger im Marquee Club auf einem Konzert von The Adicts war. Die hatten „You’ll Never Walk Alone“ auf einer Single-B-Seite veröffentlicht und das bei diesem Konzert in London gespielt. Ich dachte „Wow, das Liverpool-Lied“. Ich war echt beeindruckt, wie sie das gebracht haben. Das hat richtig gerockt. Im Grunde war das der Auslöser, durch den ich gemerkt habe, dass man das Lied auch ganz anders interpretieren kann. Wir haben das dann im Proberaum öfter mal angespielt und irgendwann damit angefangen, es hin und wieder bei Konzerten zu bringen.

„The Adicts hatten ‚You’ll Never Walk Alone‘ bei einem Konzert in London gespielt. Ich dachte ‚Wow, das Liverpool-Lied‘“: Campino mit Monkey von den Adicts auf der Bühne im Ratinger Hof, Düsseldorf, 11.3.1984. Die Hosen bestritten an diesem Abend das Vorprogramm. Funfact: Einen Tag vorher fand das gleiche Konzert in der gleichen Besetzung schon einmal im „Haus der Jugend“ statt.

Wenn man recherchiert, finden sich die ersten Hinweise darauf, dass ihr das Lied live gespielt habt, tatsächlich erst 1996. Da habt ihr es ein paar Mal auf der „Ewig währt am längsten“-Tour gespielt und es war im gleichen Jahr auch auf der Live-Platte „Im Auftrag des Herrn“. Allerdings noch in einer kürzeren Version und auch noch nicht als letztes Stück.

Zeitlich kann das schon hinkommen. Und es stimmt, wir haben lange nur den Refrain rausgehauen. Mit den Jahren haben wir das immer weiter ausgebaut. Ich habe vor unseren Shows ganz bewusst ein Tape mit dem Song laufen lassen, damit er von den Leuten schon als Chor gesungen wurde, bevor wir auf die Bühne kamen. So wie in England vor dem Spiel. Und dann irgendwann auch als letztes Lied, ebenfalls wie in England. Das ist der finale Song, den die Leute in Anfield singen, bevor sie nach Hause gehen. Diesen Rahmen wollte ich uns auch verpassen. Mir lag von Anfang an viel daran, dass niemand missversteht, warum wir das spielen.

Ein anderes Lied von euch, das im Zusammenhang mit Liverpool wichtig ist, heißt „Long Way From Liverpool“. Das hast du gerade auch mit Kuddel für dein Hörbuch noch mal neu aufgenommen. Erstmals ist es im Mai 1994 als B-Seite eurer Single „Sexual“ erschienen. Interessanterweise war das fünf Monate, bevor du das erste Mal bei Liverpool im Stadion warst. Das Datum nennst du ja in deinem Buch. Wie kam es zu dem Lied? Ich hätte eigentlich gedacht, dass es eine Reaktion auf deinen ersten Besuch an der Anfield Road war, aber offenbar gab es „Long Way From Liverpool“ ja schon davor.

Ja, du hast Recht. Es ist in einer Phase rausgekommen, in der wir häufiger in England auf Tour waren und unsere Lieder teilweise auch auf Englisch übersetzt haben. Auslöser war unsere „Learning English Lesson 1“, die damals bei Virgin auch in Großbritannien erschienen war. Wir sind auch wegen MTV häufig in London gewesen, weil dort ihr einziges europäisches Studio war. Unser Album „Love, Peace & Money“ war quasi eine Übersetzung von „Reich & Sexy“, und dann brachten wir ja auch noch „Crash Landing“ raus. Im Rahmen dieser Arbeiten haben wir auch „Long Way From Liverpool“ geschrieben, zusammen mit Honest John Plain und Matt Dangerfield von The Boys.

Vertragsunterzeichnung für „Learning English“ am Rande der Toten Hosen-Band-Weihnachtsfeier 1990: Matt Dangerfield, Jochen, John Plain, Campino.

Es war eine lockere Nummer und sollte musikalisch ein bisschen an die Beatles erinnern. Ich muss bei dem Thema aber immer ein wenig aufpassen, denn wir sind ja fünf Musiker in unserer Band und ich darf den anderen ja nicht einfach diesen Liverpool-Sack überstülpen. Da hätten sie wahrscheinlich auch gar keinen Bock drauf. Wenn wir Lieder gebracht haben, die vor allem etwas mit meiner persönlichen Geschichte zu tun hatten, musste das trotzdem genauso durch den Qualitätscheck wie jeder andere Song. Nimm zum Beispiel „Nur zu Besuch“ und „Unser Haus“. Oder die Coverversionen, die ich vorgeschlagen habe.

Wie „Hang On Sloopy“, ein Lied, das wir immer mal wieder live spielen, weil es ein echter Straßenfeger ist. Ursprünglich hatte ich die Band gebeten, das einzuüben, weil mein Bruder John Geburtstag feierte und wir ihn damit überraschen wollten. Es war der erste Song aus der Rockwelt, den John mir untergejubelt hatte, als ich ein kleiner Junge war.

Jedenfalls habe ich nach der Feier vorgeschlagen, „Hey Leute, jetzt haben wir ‚Sloopy‘ eh schon drauf, lasst es uns doch mal bei einem Konzert probieren“. Daraufhin hat sich das sozusagen ins Set geschossen, aber nicht etwa aufgrund eines Befehls von mir.

Du warst wie gesagt 1994 das erste Mal live vor Ort bei einem Heimspiel des FC Liverpool.

Ja, das war an einem Off Day. Wir waren in England auf Tour, hatten am Vorabend in Cambridge gespielt und mussten sowieso Richtung Norden fahren. Da habe ich die anderen gefragt, ob sie Lust hätten, einen Abstecher zu einem Liverpool-Spiel zu machen. Wölli, Breiti und Andi fanden das gut und sind mitgekommen, aber wir haben uns mit der Fahrzeit total verschätzt, sind in einen Stau gekommen und wären fast zu spät gewesen.

Trotzdem wurde es für dich noch ein denkwürdiger Nachmittag, wie man in deinem Buch nachlesen kann. Seitdem versuchst du, so oft es geht, zu den Spielen zu fahren. Auch jetzt gerade würdest du, wenn Corona nicht wäre, in einem Fußballstadion rumstehen. Warum hast du das vorher nie gemacht, warum kam dieser Fanatismus so spät? Du warst ja 1994 schon seit über zwanzig Jahren Liverpool-Fan.

Matchday beim Besuch im Elternhaus in Mettmann, irgendwann 90er Jahre.

Fanatisch war ich auch schon in meiner Kinder- und Teenagerzeit. Aber damals war es für mich okay, meine Liebe auf Distanz zu leben. Wenn im Fernsehen Spiele gezeigt wurden, zum Beispiel im Europapokal, saß ich da immer vor dem Fernseher in voller Montur mit Fahne und Trikot.

Für mich schien Liverpool damals sehr weit weg, schwer erreichbar und ich hatte auch keine Kohle. Als ich 13 oder 14 war, brach dann Punk über mich ein. Von da an hatten sich meine Prioritäten verschoben: Ich hätte zu dieser Zeit lieber eine Punkband wie die Undertones, Sham 69 oder die UK Subs in London sehen wollen, als ein Liverpool-Spiel in Anfield. Ein paar Jahre später, als das Geld da gewesen wäre, um mal zu einem Spiel zu fahren, fehlte mir der letzte Antrieb und ich hatte selbst dauernd Konzerte an den Wochenenden. Tatsächlich habe ich dann erst 1994 geschnallt, dass es gar nicht so schwierig war, an Tickets zu kommen und die Strecke von London nach Liverpool jetzt nicht übermäßig lang war. So ging es los, dass ich zu den Spielen gefahren bin und Anfield aus meiner Fantasiewelt in die Realität geholt habe. Seitdem wurde das immer stärker.

Nach einer Weile hattest du dann auch persönliche Beziehungen zu der Mannschaft und zu den Verantwortlichen. Aber das war ja nicht von Anfang an so. Wie kam es, dass du mit Leuten vom FC Liverpool Bekanntschaft gemacht hast?

Die erste Verbindung in diese Richtung kam durch Kalle Riedle zustande. Er spielte Ende der Neunziger bei Liverpool und hatte sich bei uns gemeldet, weil er wusste, dass die Hosen fußballinteressiert waren. Vielleicht hatte er auch gehört, dass ich Liverpool-Fan war. Jedenfalls fragte er uns, ob wir Lust hätten, an einem Benefizfußballspiel teilzunehmen, das von ihm ausgerichtet wurde. Natürlich sind wir zu ihm ins Allgäu gefahren. An dem Spiel nahm auch der eine oder andere Kicker vom Liverpool FC teil. Ich war wirklich aufgeregt, sie zu treffen. Am Vorabend gab es noch einen Umtrunk mit allen Beteiligten und ich habe mich vor Nervosität dermaßen abgeschossen, dass ich am nächsten Tag beim Spiel unfassbar schlecht war … Ich hab dauernd zwei Bälle vor meiner Nase gesehen. Meine Mitspieler haben mir dann ganz vorsichtig Pässe direkt am Tor zugespielt, die man wirklich hundertprozentig reinschießen musste - aber ich hab sie alle vorbeigesemmelt. Und das vor einigen Tausend Zuschauern. Es war ein schreckliches Erlebnis, richtig scheiße! … aber die Nacht davor war natürlich sensationell. Jedenfalls haben wir Kalle daraufhin in Liverpool besucht und ich bekam die Gelegenheit, das Ganze zum ersten Mal aus der Nähe zu beobachten.

Im Jahr 2000 unterschrieb Markus Babbel bei Liverpool. Das war schon lustig, denn er war ja ursprünglich ein klassischer Bayern München-Spieler, genau wie Didi Hamann, der ein Jahr zuvor zu den Reds gewechselt war. Jedenfalls gab es irgendwann einen Kontakt und von da an habe ich sie häufig in Liverpool besucht. Wir freundeten uns alle an und ich ging viel zu den Spielen. Im Anschluss zogen wir als Clique noch zusammen los in die Stadt. Auch Sami Hyypiä und später Peter Crouch waren manchmal dabei. So änderte sich allmählich meine Sichtweise.

Ich nahm das alles nicht mehr nur als Fan aus der Distanz wahr, sondern fühlte auch als Freund mit. Da sieht man die Dinge oft mit völlig anderen Augen. Verletzungen, Krankheiten, Probleme. Auch ein Mannschaftsspieler kann manchmal ziemlich einsam sein.

Mit Sami Hyypiä auf der Feier nach dem FA-Cup Sieg gegen Westham United 2006

2015 wurde Jürgen Klopp Trainer von Liverpool. Du hast ihn dadurch kennengelernt und dich auch mit ihm angefreundet. Nach Spielen bist du bei ihm zuhause im kleinen Kreis dabei. Hat das deine Verbindung zur Mannschaft noch weiter intensiviert?

Nein, das ist heute eine völlig andere Geschichte. Ich habe mit den Spielern eigentlich nichts mehr zu tun. Sie sind ja auch schon lange nicht mehr meine Generation. Außerdem ist Jürgen ihr Manager und Trainer, also eine Autoritätsperson. Da verbringt man die Freizeit nicht auch noch miteinander. Trainer und Betreuer sind ein anderer Freundeskreis, wenn du so willst. Wenn eine Meisterschaft oder ein Pokal gewonnen wird, feiert man natürlich zusammen - aber danach muss auch die Grenze wiederhergestellt werden, um Klarheit zu behalten, wer das Sagen hat. Ich glaube, ein Spieler will von seinem Trainer nicht betrunken gesehen werden und umgekehrt ist es genauso.

Campino und Jürgen Klopp vor dessen Büro im Melwood Training Ground des Liverpool FC

Foto Paul Ripke

Haben eigentlich Fortuna und Liverpool schon mal gegeneinander gespielt?

Nee.

Aber wenn, dann würdest du für Liverpool halten? Müsstest du eine Sekunde nachdenken?

Als Erstes würde ich mir wünschen, dass es nur ein Freundschaftsspiel ist. Zurzeit wäre das auch deutlich realistischer als die Vorstellung, sie würden in der Champions League aufeinandertreffen. Aber wer weiß, vielleicht könnte sich auch eine Fanfreundschaft bilden, so wie sie auch zwischen Liverpool und Mönchengladbach existiert. Habe ich Deine Frage damit beantwortet? (lacht)

Zwei Fußballherzen schlagen hier in einer Brust…

Foto Fryderyk Gabovicz

Man munkelt jedenfalls, wenn du bei Fortuna im Stadion bist, schaust du dir nebenbei das Liverpool-Spiel auf dem Handy an …

Na klar. Bei Liverpool gehe ich auch noch mal ganz anders an die Decke. Das ist einfach in mir drin, da kann ich den kleinen Jungen nicht abdrehen.

Du hast mal gesagt, dass du dazu neigst, dich völlig kompromisslos und immer hundertprozentig in die Dinge reinzusteigern. Und insofern wärst du ganz froh, dir Fußball als vergleichsweise harmlose Nebenbeschäftigung ausgesucht zu haben, weil es sonst vielleicht auch gefährlich hätte werden können. Denkst du da an was Bestimmtes?

Naja, das sind vielleicht auch ein paar Sachen, die man lieber nicht aussprechen möchte. Es gibt ja die seltsamsten Möglichkeiten, an gewisse Gefühlsgrenzen zu gehen. Manche holen sich ihren Kick, indem sie sich ständig prügeln, andere durch illegale Autorennen. Weil sie süchtig sind nach dieser Anspannung, ob jetzt was schiefgeht oder nicht.

Ich habe oft genug mit einem Bein irgendwo in den Lichttraversen gehangen, wo ich jederzeit hätte abstürzen können. Ich erinnere mich auch an eine Szene in Kuba, im Hotel in Havanna, wo ich im 18. Stock dieses Wolkenkratzers von einem Balkon auf den anderen gesprungen bin, nur um die anderen zu erschrecken.

Auf dem Fenstersims herumbalancieren und so ein Blödsinn. Sowas ist für mich wirklich vorbei, das brauche ich nicht mehr. Mein Fußball-Fan-Leben ist da sozusagen die sanftere Variante. Meine Frau kann mich beruhigt zu einem Spiel lassen, da brennt ja nichts an, es ist relativ harmlos, wie ein Placebo.

Ich habe einen Kanal gefunden, mit dem ich hochemotionale Erlebnisse habe, ohne dass wirklich etwas passiert.

„Manche holen sich ihren Kick, indem sie sich ständig prügeln, andere durch illegale Autorennen. Mein Fußball-Fan-Leben ist da sozusagen die sanftere Variante.“

Außer, dir gibt jemand Kautabak. Den hast du neulich von einem anderen Liverpool-Fan bekommen und dann hattest du eine Art Horrortrip.

Das war ein Nikotinsäckchen, das man sich nur so in den Mund steckt. Ich wusste nicht, dass man das nicht zerbeißen sollte. Keine Ahnung, warum das so reingehauen hat. Vielleicht weil ich Nichtraucher bin. Ich habe seit vielen Jahren keine Zigarette mehr geraucht, und möglicherweise hatte ich vorher auch nichts gegessen. Die Wirkung kam jedenfalls super schnell, super scharf und super intensiv. Ich konnte nicht mehr stehen und musste mich auf diesen doofen Plastiksitz setzen. Es dauerte bestimmt 25 Minuten, bis das vorüber war. Witzigerweise hat sich der Junge, der mir diesen Kautabak gegeben hat, bei Piper, meinem Buchverlag gemeldet. Er hatte die Anekdote in meinem Buch gelesen und wollte sich entschuldigen. Ein deutscher Student, der in Liverpool zur Uni ging. Seine Kumpels sind alle Liverpooler und so ist er dort in die Fußballszene geraten.

Fährst du immer in Begleitung zu den Spielen, oder bist du manchmal auch auf eigene Faust unterwegs?

Ich bin tatsächlich manchmal auch ganz alleine da. Weil mir das Spaß macht, dabei meinen Gedanken nachzuhängen. Dann muss ich niemanden unterhalten und auf keinen Rücksicht nehmen. Ich beobachte einfach gerne. Nach London zum Beispiel, gegen Tottenham Hotspur, bin ich letztes Mal alleine gegangen und fand das wunderbar. Wie andere Leute gerne im Wald spazieren, oder angeln gehen, oder auf die Jagd, so sitze ich dann alleine in der U-Bahn und schau mir das alles an. Wenn jemand mitkommt, macht es genau so viel Spaß, aber das muss gar nicht sein. Es käme mir jedenfalls nicht in den Sinn, zu sagen, dass sich ein Spielbesuch nicht lohnt, nur weil mich niemand begleitet. Ganz und gar nicht. Ich bin dann viel konzentrierter.

„Fußball als vergleichsweise harmlose Nebenbeschäftigung“: Unterwegs mit dem Liverpool FC

Andererseits fliegst du immer dann, wenn du mal Ruhe haben könntest, sofort zum nächsten Fußballspiel. Du bist mit den Hosen eh schon viel auf Achse, aber in deiner Freizeit dann auch. Man könnte denken, dass es dir nicht gefällt, einfach mal alleine zuhause rumzuhängen.

Doch, das mache ich eigentlich total gerne. Ich komm nur selten dazu! Ich bin immer schon gerne alleine gereist, vor allem nach Cornwall, einfach um zu spazieren, um zu schwimmen oder einfach nur für mich zu sein. Ich muss nicht immer Action haben. Und so bedauerlich die Corona-Zeit natürlich ist, hat sie für mich persönlich, was Fußball angeht, auch einen Effekt, den ich ganz gut finde: Gleich spielt ja Liverpool, um 13:30 Uhr ist Anstoß, normalerweise wäre ich jetzt in England. Aber ich muss gar kein schlechtes Gewissen haben, zuhause zu bleiben, denn ich darf ja eh nicht ins Stadion. So kann ich kurz den Fernseher anmachen, für zwei Stunden in das Spiel eintauchen und danach bin ich schon wieder hier.(lacht) Das ist zwar definitiv nicht die bessere Alternative, aber zurzeit bin ich deutlich ruhiger und ausgeglichener.(lacht) Das macht sich auch in meinem Umfeld entspannend bemerkbar.

Du sagst es, demnächst ist schon Anstoß. Haben wir denn noch genug Zeit, um über „Learning English Lesson 3: MERSEY BEAT! The Sound Of Liverpool“ zu sprechen, das neue Album der Toten Hosen?

Können wir gerne machen, das kriegen wir noch rechtzeitig hin. Was mich da interessieren würde: Du hast das Album ja schon gehört und weißt, dass das alles Coverversionen sind. Aber kennst du auch die Originale?

Ja, größtenteils schon.

Und findest du, wir haben die verdreht?

Nein, eigentlich gar nicht. Ich hätte eher gedacht, dass ihr die hier und da mehr verdreht. Zum Beispiel „Respectable“ oder „You’re No Good“, die sind ja recht originalgetreu.

Genau. Wir haben versucht, die Songs nicht zu verändern und den Sound der Sechziger beizubehalten. Vor allem bei den langsamen Stücken wie „You Might As Well Forget Him“. Für uns gab es bei der Scheibe zwei wichtige Komponenten. Zum einen wollten wir herausarbeiten, dass das damals durchaus wilder Rock’n’Roll war. Das erkennt man vielleicht im Rückblick nicht mehr so genau. Klar hatten die alle ordentliche Anzüge an, aber in Hamburg, im Star Club, wurden trotzdem Pillen ohne Ende genommen und es ist sicher viel Alkohol geflossen. Und auf der Reeperbahn ist wohl jedem klar, wo die Beatles entjungfert wurden. Einerseits ging es also für uns darum, diese Wildheit darzustellen, aber andererseits wollten wir auch dem Sound huldigen und diesen Sixties-Style zelebrieren, höchstens dadurch ergänzt, dass wir das Schlagzeug mehr nach vorne geholt haben. Das ging mit den damaligen Aufnahmetechniken noch nicht. Wir wollten also zeigen, dass die Beatmusik zwar textlich oft Luft und Liebe war, aber musikalisch eben auch totaler Rock’n’Roll.

Lieder wie „Walking The Dog“ oder „I Can Tell“ sind doch schon Blaupausen für Metal und Hard Rock. Es war sehr interessant, das zu entdecken.

Mersey Beat wurde Anfang der Sechziger in Liverpool als neuartige Spielart des Rock’n’Roll geboren und war kurzzeitig international sehr erfolgreich. Neben den Beatles gab es hunderte weitere Gruppen, die hauptsächlich Songs aus den USA auf eine sehr eigene Art und Weise coverten. Auf eurem neuen Album orientiert ihr euch an diesen Coverversionen aus Liverpool, nicht an den Originalen. Was macht für dich die Faszination von Mersey Beat aus?

(überlegt) Die Rock’n’Roll-Musik, die man aus den USA der fünfziger Jahre kennt, war häufig mit einem klassischen Shuffle-Beat verbunden. In England hat man diese dann mit einem 4/4-Beat gespielt, daher auch der Name Beatmusik. Dieser 4/4-Beat machte die Lieder flüssiger, aber auch ein bisschen aggressiver. Das gab der ganzen Sache mehr Punch. Außerdem haben die Engländer damit angefangen, sich elektrische Gitarren zu kaufen und auch hier den Klang eindeutig zu verschärfen. Dadurch kam so eine Aggro- oder Noise-Komponente hinzu. Die frühen amerikanischen Rock’n’Roll-Tracks aus den Fünfzigern hören sich im Vergleich ja fast freundlich an, und auch ein bisschen verspielter. Das ist von den Engländern alles weggepustet worden. Die haben dadurch eine ganz andere Sexiness mit reingebracht. Mit dem musikalischen Background von heute ist das vielleicht nicht mehr ganz einfach nachzuvollziehen. Aber als Beweis nehme ich immer die Tatsache, dass die englischen Versionen dann wieder zurück in die USA gingen, also in das Ursprungsland, und auch dort wieder absolut erfolgreich in den Top Ten zu finden waren.

British Invasion wurde das genannt. Das war ein kleiner Schlüsselmoment in der Entwicklung, der die Musik für immer verändert hat. Nicht nur in Beat, Aufbau und Klangästhetik, sondern auch in dem Ausmaß, in dem Bands abgefeiert wurden. Die ganze Hysterie, die Beatlemania, das Bewundern von Popstars. Ich glaube, das war auch alles Teil der englischen Note.

Nach zwei, drei Jahren ist die Mersey Beat-Welle schnell implodiert, vergleichbar mit der Neuen Deutsche Welle hierzulande. Man hat ein oder zwei Sommer lang nichts anderes gehört und dann war sie plötzlich weg vom Fenster. Mitte der sechziger Jahre verlagerte sich die ganze Szene nach London, aber der klassische Popstar, wie wir ihn auch heute noch kennen, hatte in Liverpool seinen Anfang. Musiker, allen voran die Beatles, aber auch Gerry & The Pacemakers haben auf einmal angefangen, selbst Lieder zu schreiben und waren keine reinen Interpreten mehr. Das war auch ein Verdienst dieser Bewegung. Das hat innerhalb von kurzer Zeit die Popmusik revolutioniert. Von da an kamen aus England zum großen Teil selbstgeschriebene Sachen. The Who, Led Zeppelin. Deep Purple sowieso. Es war Schluss damit, dass man Lieder spielte, die einem irgendwie vorgesetzt worden waren. In Amerika war das Geschäftsmodell von Anfang an ganz anders gewesen.

Wie bist du denn auf Mersey Beat gestoßen? Hast du das schon in deinen frühen Punkrockzeiten auf dem Schirm gehabt?

Nein, Punk war für mich erst mal die Stunde Null. Das ging uns allen in der Szene so, dass wir mit früher gar nichts zu tun haben auch keine Verbindung herstellen wollten.

Du hast ja sogar die Beatles erst durch die Boys kennengelernt …

Ja, das stimmt. Die Suche nach den Ursprüngen unserer Musik war am Anfang nicht angesagt. Wir waren erstmal so voll mit dem Selbstbewusstsein und der Ignoranz eines Teenagers, dass wir behauptet haben, „Wir sind neu, wir haben keine Wurzeln“. Später mussten wir zugeben, dass es jede Menge älterer Songs gab, die im Grunde schon Punk-Riffs hatten. Als erstes fiel uns das vielleicht bei „You Really Got Me“ von den Kinks auf, die aus London kamen. Oder bei „My Generation“ von The Who. Da hat man dann doch mitgekriegt, dass das ziemlich laut und ziemlich gut war.

Ich verstand dann auch, dass eine Band wie Slade schon alleine mit dieser absichtlich falschen Schreibweise ihrer Lieder einen gewissen Straßen-Touch und etwas gut prolliges in sich trug.

Wenn man sich das Gesamtwerk der Beatles anhört, bemerkt man die unglaublichen Schritte, die diese Band zurückgelegt hat. Lieder wie „Helter Skelter“ oder „Back in the USSR“ sind einfach nur beeindruckend. Aber auch, dass sie in ihrer Frühphase schon so etwas wie „Slow Down“ gespielt haben, ein Song, der jetzt auch auf unserer Mersey Beat-Platte enthalten ist. Die Beatles werden zurecht oft auch als Rockband und nicht nur als Popband bezeichnet. Das trifft es viel mehr. Texte wie „Taxman“, „I am the Walrus“ und „Lucy In The Sky“… die waren schon wild. Sie haben sich ordentlich ausgetobt.

Foto Erik Weiss

Was andere Mersey Beat-Sachen angeht, kannte ich zum Beispiel „Hippy Hippy Shake“ von den Swinging Blue Jeans zuerst in der Version von den Revillos, einer schottischen Punkband. Einige Punkbands haben damals damit angefangen, Songs und Sounds aus den Sechzigern wieder in Erinnerung zu bringen, insofern kamen die Sachen dann auch in mein Bewusstsein. „Do You Love Me“ von Faron’s Flamingos war mir zuerst von Johnny Thunders untergekommen. Ich hatte aber auch ein bisschen Ahnung von Gruppen wie The Searchers, eine der bekanntesten Mersey Beat-Bands. Und von Rory Storm & The Hurricanes hieß es immer, dass Rory eine Szenegröße gewesen sei mit einer richtig coolen Liveband. Es gab da nur wenige Dokumente auf Platte, die das belegt haben. Die Aufnahmen waren damals im Vergleich zur Liveperformance eher ein bisschen missglückt. Um das zu verstehen, muss man sich da schon ein bisschen einarbeiten. Für mein Buch und vor allem das Album, das ja eine Art Soundtrack des Buchs ist, habe ich mich noch mal mit ganz anderer Energie da reingeschmissen und das Thema richtig aufgearbeitet.

Es gab später in Liverpool gar nicht so viele Punkbands, oder?

Es gab in der Stadt durchaus eine Punkszene. Das „Eric’s“ war ein Club mit nationaler Bedeutung. Ramones, The Clash, The Buzzcocks – sie haben alle dort gespielt. Die Mutter von Elvis Costello kommt auch aus Liverpool, er selbst hat dort längere Zeit gelebt und ist also kein reiner Londoner. Aber tatsächlich kam keine der treibenden, klassischen Bands der ersten Stunde von dort, nur ein paar Acts wie Big In Japan oder später Echo & The Bunnymen.

In Manchester gab es neben den Buzzcocks, Slaughter & The Dogs, vor allem auch Joy Division, die haben dem Ding noch mal einen ganz anderen Stempel aufgedrückt. Das gab es in Liverpool nicht.

Zurück zu eurer neuen Platte. Jetzt erscheint also „Learning English Lesson 3“. Als ihr 1991 den ersten Teil gemacht habt, hättet ihr euch wahrscheinlich auch nicht gedacht, dass 2017 ein zweiter Teil kommt und 2020 ein dritter Teil …

1991 bei der Aufnahme von "Learning English Lesson 1" in London: Jon Plain (The Boys), Andi, Campino und Captain Sensible (The Damned)

Stimmt, das war nie der Plan. Wir haben es damals auch nur „Learning English Lesson 1“ genannt, weil wir den Namen lustig fanden, wie so ein englisches Sprachlernbuch. Da hat niemand an eine Fortsetzung gedacht. Aber „Learning English Lesson 3“ hat sich jetzt als Titel für die Mersey Beat-Platte angeboten, um die Leute darauf vorzubereiten, dass das keine normale Tote Hosen-Veröffentlichung ist, sondern eine Würdigung, ein Coveralbum. Eigentlich wollen wir ja immer so nah wie möglich an den ursprünglichen Stücken sein, weshalb wir bei den ersten beiden „Learning English“-Sessions die Originalsänger und -songwriter dazu geholt haben. Das war in der Kürze der Zeit nicht zu schaffen - abgesehen davon, dass jede Menge der Protagonisten gar nicht mehr leben. Jedenfalls sollte der Albumtitel „Learning English Lesson 3“ direkt unterstreichen, dass es sich hier um einen kleinen Ausflug von uns handelt. Es ist uns ein Vergnügen und wer uns dabei begleiten will, ist herzlich eingeladen.

Janet und John waren als Sprecher diesmal auch nicht dabei, wie bei den vorherigen „Learning English“-Alben.

Ja, es musste alles sehr schnell gehen, die ganze Sache hat uns etwas überrumpelt. Klar, rückblickend wäre es auch cool gewesen, wenn George Sephton, der Liverpooler Stadionsprecher, am Anfang eine kleine Einleitung gesprochen hätte. „Welcome to Anfield“, oder so. Hätte er bestimmt auch gemacht. Andererseits finde ich, dass solche Gags, so schön sie auch beim ersten Hören sind, den Flow einer Platte ziemlich unterbrechen, wenn man sie häufiger hört.

Ich glaube, insgesamt tut es dem Album gut, dass wir es nicht hingekriegt haben, uns noch irgendwelche Gags zu überlegen.

(lacht)

Wie kam es überhaupt zu der Idee für das Album, gab es in der Corona-Krise …

(unterbricht) Corona soll da gar kein Argument sein! Deshalb erwähnen wir das in der ganzen Kommunikation um das Album auch mit keinem Wort. Ich finde, es würde die Sache total schmälern, wenn man behauptete, „Wir waren im Corona-Lockdown, hingen so rum und haben dann halt mal ein Mersey Beat-Album gemacht“. So war es einfach nicht. Das Album wäre auch ohne das Virus genau so entstanden. Ich will mich für dieses Abenteuer jedenfalls nicht bei der Pandemie bedanken.

Okay. Aber wie hat sich das alles denn ergeben? Und musstest du die anderen von der Idee überzeugen?

Entstanden ist die ganze Sache dadurch, dass ich mit Kuddel meine Lesereise vorbereiten wollte. Ich hatte mir überlegt, dass es schön wäre, an den Abenden lauter Lieder zu spielen, die im Zusammenhang mit Liverpool stehen. Wir sind dann mehrere Songs durchgegangen und als Erstes fiel mir „You’re No Good“ von den Swinging Blue Jeans dabei auf. Als ich das mit Kuddel im Proberaum gespielt habe, meinte ich zu ihm, dass das mit der Band bestimmt auch toll klänge und dass wir den ganzen Sound eigentlich viel besser zu fünft transportieren könnten. Etwas später stellte ich dann die Projektidee in einer unserer Blauen Stunden vor.

Foto Erik Weiss

Im ersten Moment sahen die anderen zugegebenermaßen nicht übermäßig begeistert aus. Als ich ihnen ein paar Lieder vorgespielt hatte, klickte es immer noch nicht so richtig. Da merkte ich an mir selber, dass ich plötzlich immer mehr und immer schneller gesprochen habe, wie ein Gebrauchtwagenhändler.(lacht) Normalerweise heißt es ja, „Let the music do the talking“, aber das war in dieser Besprechung nicht angesagt.

Am Ende meinten sie aber wenigstens, dass wir es ja mal probieren könnten, man müsse es ja nicht veröffentlichen. Nach der ersten Probe wurde nie wieder in Betracht gezogen, das Projekt zu stoppen. Schon bei diesem Treffen war zu sehen, dass alle einen Mordsspaß hatten.

Alle waren euphorisiert, jeder hat für sich gesehen, was daraus werden könnte.

Die Entstehung des Albums ging auch richtig schnell, oder? Wie lange hat das gedauert?

Wir benötigten eine Woche, um die Lieder auszuwählen und einzuproben. Im Anschluss gingen wir für zwei Wochen ins Studio, um sie aufzunehmen abzumischen. Alles ging superschnell.

War das euer Rekord? Oder ging „Never Mind The Hosen“, das Schlageralbum der Roten Rosen, noch schneller?

Das lief beides ziemlich ähnlich ab. Vermutlich waren das die Platten, die am schnellsten fertig waren.

Welche Songs liegen dir besonders am Herzen, stechen da welche hervor?

Ich mochte es, im Windschatten dieses Projekts auch mal so richtig kitschig zu werden, wie wir uns das sonst nie erlauben würden. „You Might As Well Forget Him“, mit Kopfstimme und dem ganzen Scheiß.

Sich auf eine unironische Weise in den Kitsch dieser Liebeslieder stürzen zu können. „Bad To Me“ und „Respectable“ fand ich total schön. Aber auch die Noise-Sachen. Auf den ersten Blick war an Liedern wie „Walking The Dog“ oder „I Can Tell“ gar nicht so viel Fleisch. Doch beim gemeinsamen Rumlärmen haben wir das dann richtig zelebriert, dieses Schweinerockmäßige, das man auch bei AC/DC und Black Sabbath finden kann. Das waren für mich Highlights. „You’re No Good“ liebe ich auch. Mir gefallen die Lieder wirklich sehr, auch wenn ich mich jetzt im Nachhinein oft frage, warum wir nicht noch diesen oder jenen Song aufgenommen haben. Bei solchen Schnellschüssen hat man immer das Gefühl, dass einem der eine oder andere Titel durch die Lappen gegangen ist. Von The Searchers haben wir zum Beispiel „Needles And Pins“ auf dem Album. Es war ihr erfolgreichstes Lied. Aber es gibt mindestens noch zehn andere Songs von ihnen, die genauso gut sind. „Needles And Pins“ ist in unserer Wahrnehmung auch ein bisschen verbeult worden, weil Smokie davon eine Version gemacht haben.

Aber die Ramones doch auch.

Stimmt, die haben das wieder zurechtgebogen und das war für uns ausschlaggebend. Tom Petty hat auch mal ein gutes Cover gemacht. Im Rückblick hätte ich von den Searchers aber eine andere Nummer gewählt. Es gibt ein Livevideo ihres Songs „What I‘d Say“ - das hat mich richtig weggehauen. Da ist schon alles drin, was für gute Rockmusik wichtig ist - vor allem sämtliche Anheiztricks fürs Publikum.

(fängt an zu grölen) „I can’t hear you!“ Ich dachte immer, dass das erst mit Slade Ende der Sechziger losging. Aber das ist Quatsch. Die Searchers haben schon zehn Jahre früher die Leute so dermaßen aus der Reserve gelockt. Und das ist nicht viel anders als das, was Green Day heute machen.

(zeigt das besagte Searchers-Video auf seinem iPad).

„What I‘d Say“, The Searchers 1964

Wow, das ist tatsächlich bemerkenswert! Aber wir müssen langsam zum Ende kommen. Du hast ja jetzt offenbar wichtigeres zu tun, Liverpool spielt in ein paar Minuten. Letzte Frage also … Du hast ein Buch geschrieben, du hast geheiratet, Liverpool wurde nach 30 Jahren mal wieder Meister. Keine schlechte Bilanz für die letzten Monate. Gibt es noch etwas auf deiner Bucket List, das du unbedingt abhaken willst?

Melwood Training Ground, 2016

Foto Paul Ripke

Ich bin nie auf der Suche nach etwas, was ich noch zu erledigen hätte, sondern stolpere einfach immer von einer Geschichte in die nächste. Das Leben hat mir oft genug gezeigt, dass es so funktioniert.

Wir bilden uns immer ein, dass wir etwas planen könnten, aber im Grunde geschieht alles einfach irgendwie. Dass ich diese Dokumentation mit Eric Friedler und Wim Wenders gemacht habe, dass ich deshalb nach Amerika musste und dass ich dort dann geheiratet habe - das sind alles so Sachen, die hat man überhaupt nicht unter Kontrolle. (lacht) Insofern bin ich zuversichtlich, dass das so weitergeht.

Alles um das Buch herum ist noch sehr frisch und aufregend, aber ich kann jetzt schon bilanzieren, dass es eine große Freude war. Vielleicht mache ich das irgendwann noch mal, wenn mir etwas einfallen sollte. Da hat sich für mich ein neues Feld eröffnet. Mal gucken, wohin es mich trägt. Es gibt noch viel zu tun … vielleicht eine lange Fahrradtour. Mein Bruder John ist letztens von John o’ Groats, das ist das nördlichste Städtchen Schottlands, bis zum südlichsten Punkt Cornwalls gefahren - alleine. Mit Ende 60. Einmal quer durch das UK, fast 1000 Meilen.

Bei uns in der Familie ist sowas natürlich schon eine Ansage. Das will ich natürlich toppen, das zwickt mich richtig. Ich stelle mir das vor wie den Jakobsweg von Hape Kerkeling, aber in verschärfter Form. So eine Fahrradtour könnte ich mir durchaus vorstellen.

PL-Matchday 5, 17. Oktober 2020: Everton – Liverpool 2:2
Tore: Sadio Mané 3’, Michael Keane 19’, Mohamed Salah 72’, Dominic Calvert-Lewin 81’.
Gesehen: Sofa, Berlin. Fazit: Das ultimative Derby: Nickelig, eng und giftig!