Der Satiriker Gerhard Polt und die drei subversiv musizierenden Well-Brüder Michael, Stofferl und Karli - ehemals Biermösl Blosn, damals noch mit Hansi statt Karli - gehören seit über 30 Jahren zu den engsten Freunden unseres Hauses. Erstmals sind wir diesen bayerischen Anarchos 1986 bei dem legendären Anti-WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf über den Weg gelaufen. Damals wurde der Grundstein gelegt für eine spektakuläre Wahlverwandtschaft zwischen Punkrock und Volksmusik, die wir uns vorher auch nicht hätten träumen lassen. Bis heute kam es immer wieder zu unvergesslichen Zusammenarbeiten, darunter mehrere gemeinsame Bühnenprojekte und natürlich das „Willi“-Drama auf dem Album „Auf dem Kreuzzug ins Glück“. Als große Fans dieser einzigartigen Musiker und Humoristen mit dem nicht immer sofort zu verstehenden Dialekt könnten wir stolzer nicht sein, dass auf JKP nun das tolle Jubiläumsalbum „Gerhard Polt und die Welt-Brüder 40 Jahre“ erscheint. Genügend Anlass und genau der richtige Moment also für ein „Freunde des Hauses“-Interview, in dem die Herrschaften unnachahmlich erzählen, wie das alles zustande kam.

"Gerhard Polt und die Well Brüder: 40 Jahre"

Lieber Gerhard, du hast Politikwissenschaft und Geschichte in München studiert, später dann Skandinavistik und Altgermanisch in Göteborg. Später hast du als Übersetzer, Lehrer und Dolmetscher gearbeitet, wolltest seit Kindestagen aber eigentlich Bootsverleiher werden. Wie konnte es geschehen, dass du Satiriker, Kabarettist und auch Schauspieler wurdest? War das Zufall?

Gerhard Polt: Zufall ist ein schönes Wort, denn es fällt einem etwas zu. Man weiß vorher nicht, was einem zufällt. Die Ahnungslosigkeit wird zur Gewissheit. Manchmal dämmert es einem langsam, manchmal geht es auch blitzartig, wie beim griechischen „Heureka“. Bei mir war es eigentlich die Übergabe eines Schecks von 5.000 D-Mark, die mich davon überzeugt hat, dass das, was ich mache, richtig ist. (Gelächter)

Wer hat diesen Scheck überreicht?

Gerhard Polt: Die Stadt München. Das war der damalige Kulturförderpreis der Stadt München. Ich habe 5.000 Mark und einen Handschlag bekommen und ab da war mir meine berufliche Richtung klar.

Wann war das?

Gerhard Polt: 1975 oder 1976.

Und vorher gab es keine Ambitionen? Es ist dir „zugefallen“, du bekamst das Geld, und dann dachtest du dir, warum nicht?

Gerhard Polt: Ich bin da langsam hineingeschlittert. Durch Begegnungen mit Menschen, die mich in diese Welt geführt haben. Ich kannte die Welt der Satire vorher nicht, zumindest nicht bewusst. Natürlich hatte ich den Wilhelm Busch gelesen, wie jeder ordentliche junge Mensch in Bayern. Und für einen jungen Mensch war es mit Sicherheit eine Voraussetzung, sich bei der Lektüre von Wilhelm Busch darüber zu freuen, dass es jemandem schlecht geht. Eine gewisse Häme oder Schadenfreude kann man da schon lernen. Die Geschichte „Fips, der Affe“, wunderbar (Gelächter). Das hat mich fasziniert. Es war aber nicht so wie bei anderen Leuten, die gesagt haben, (verfällt in einen diktatorähnlichen Tonfall) „Dann beschloss ich Politiker zu werden.“ Ich kann das so nicht sagen, (imitiert wieder einen bekannten Diktator) „Dann beschloss ich Satiriker zu werden.“ (Gelächter)

Von links nach rechts: Karli Well, Gerhard Polt, Stofferl Well und Michael Well

Du siehst dich vor allem als Brettl-Künstler und gar nicht so sehr als Kabarettist, oder?

Gerhard Polt: Das stimmt, ja!

Was ist denn der Unterschied zwischen Brettl und Kabarett?

Gerhard Polt: Oh, das ist ein großer Unterschied. Ein kultureller Unterschied. Das Brettl ist eine alte Tradition. Diese Tradition ist im Wesentlichen altbayerisch. Es gab das aber auch in Wien. Brettl-Künstler waren, im Unterschied zu Kabarettisten, keine Menschen, die als Intellektuelle für Intellektuelle politische Kommentare gemacht haben. Die Brettl-Künstler haben menschliche Unzulänglichkeiten in Form von Liedern, Couplets und Volkstümlichem auf Bühnen gebracht. Auf Brettl. Eben nicht auf die Bauernbühnen, sondern auf die noch kleineren. Ein Brettl ist wirklich nur eine leichte Erhöhung, auf die sie sich gestellt haben. Zum Beispiel haben sie sich im Kaffeehaus zu einem Geiger gesellt und diese Brettl-Kunst betrieben. Einer der größten und berühmtesten ist sicherlich der Karl Valentin, der kein politischer Kabarettist war, der politische Botschaften von sich geben wollte, sondern eben seine humorvollen Geschichten auf einem Brettl erzählt hat. Das Kabarett hat andere soziale Hintergründe. Dass man damals, vor dem Ersten Weltkrieg und danach in der Weimarer Zeit, Kabarettist geworden ist, das war eine andere Geschichte. Und die Brettl-Kunst ist wirklich stark, ich sag’s mal vorsichtig, alpenländisch geprägt.

Michael Well: Das ist besonders im 19. Jahrhundert entstanden, als München sehr viel Zuzug gekriegt hat, aus der Provinz, aus Niederbayern. Die haben dann am Wochenende Unterhaltung gebraucht. Es hat in den Wirtshäusern einfach viele Möglichkeiten gegeben, aufzutreten. Die Leute wollten Unterhaltung haben, das kann auch ganz banal gewesen sein.

Gerhard Polt: Das war manchmal auch unerträglich blöde. Bauernschwänke, für einigermaßen denkende Menschen unerträglich. Brettl ist jedenfalls eine andere Tradition als das Kabarett und kommt aus einer anderen Sozialschicht, aus einer anderen sozialen Befindlichkeit heraus. Es gibt ja sicherlich Bücher darüber, wo man das nachlesen kann. Ich habe bewusst die Brettl-Kunst ausgewählt, aber nicht, weil ich mich vom Kabarett abgrenzen wollte. Sondern ich wollte sagen, dass ich eher in dieser Tradition daheim bin als in der anderen.

Also hat das Kabarett einen politisch-pädagogischen Auftrag, während bei deiner Herangehensweise das Politische nicht die Intention, sondern eher ein Nebeneffekt ist? Deine Stücke bestehen ja vor allem aus Beobachtungen, als Zuschauer kann man sich dann seinen Teil dazu denken und das ist dann vielleicht politisch.

Gerhard Polt: Genau. Der Dieter Hildebrandt (legendärer Kabarettist und Weggefährte Polts; Anm. d. Red.) hat einmal etwas Schönes gesagt, das mir imponiert hat. Als Otto Waalkes berühmt wurde, fanden manche das sehr gut, andere weniger. Aber der Hildebrandt hat damals gesagt, dass der Humor vom Waalkes nie politisch gedacht war. Dass aber die Wirkung vielleicht politischer war als gedacht. Weil der Waalkes einfach bestimmte Themen berührt hat, die fast tabu waren und die nicht angerührt wurden … das Thema Sexualität, oder was immer. Otto Waalkes hatte eine Frechheit und eine Art, die die Menschen gelockert hat. Der hat da was in Bewegung gesetzt. Und so finde ich das ganz gut gedacht, wie der Hildebrandt das gesagt hat: Das ist in der Wirkung politisch, obwohl es nicht direkt gezielt politisch ist.

Stofferl Well: Humor ist von seiner Wirkung her immer anarchistisch. Denn wenn der Mensch lacht, gibt er die Kontrolle ab.

Zusätzlich zum Humor gibt es bei Gerhard Polt und den Well-Brüdern natürlich auch noch die Musik. Und dafür seid ihr zuständig, lieber Michael, lieber Stofferl und lieber Karli. Ihr tretet seit 2013 als die Well-Brüder auf. Vorher waren Michael und Stofferl zusammen mit eurem Bruder Hans jahrzehntelang als Biermösl Blosn aktiv. Ihr kommt aus einer Familie mit insgesamt 15 Geschwistern. Wie ging es denn bei euch los mit dem Musizieren?

Michael Well: Der Vater war Schullehrer. Und der Schullehrer hatte im Dorf eine gewisse kulturelle Funktion. Der hat immer die katholischen Feste mit Musik ausgefüllt und hat den Kirchenchor geleitet. Das, was er mit den Schulkindern gemacht hat, hat der Vater dann auch zuhause mit den eigenen Kindern gemacht. Weil wir so viele waren, haben wir wirklich von klein auf musiziert. Der Stofferl ist der jüngste von uns und war schon mit drei oder vier Jahren auf der Bühne. Der Vater hat ein Gefühl für Entertainment gehabt. Und für eine gute Dramaturgie: Es gab dreistimmigen Gesang von den Mädchen, oder die Buben haben gesungen, es wurden Gedichte aufgesagt, Sketche gespielt, Tanz aufgeführt. Der Vater hatte wirklich ein dramaturgisches Gespür und so sind wir da reingewachsen.

Stofferl Well: Also, ich bin so lange auf der Bühne wie der Mick Jagger. 1962 ist es losgegangen. Wenn man so viele Geschwister hat, muss jeder was Eigenes machen. So kriegt man Zuwendung von den Eltern oder seiner Umwelt und da war es ganz hilfreich, ein Instrument zu spielen. Wenn man auf der Bühne sehr gut war, hat man vielleicht ein bisschen mehr zu essen gekriegt (lacht). Zuwendungen in Form von Essen.

Michael Well: Und daraus haben sich natürlich bestimmte Gruppierungen entwickelt. Aber meine Schwestern haben sehr früh geheiratet und sich dann eher von der Familie gelöst. Das war so ein Abnabelungsprozess. Mit Hilfe von irgendeinem Deppen (Gelächter). Ich meine, von einem netten Mann.

Natürlich. Schreib ich so. (Noch mehr Gelächter)

Karli Well: Aber typisch war, dass die Schwestern weniger Instrumente gelernt haben als die Brüder. Vor allem Blasinstrumente haben die Schwestern überhaupt nicht gelernt.

Michael Well: Eher Stubenmusik. Die haben irgendwann die Schnauze voll gehabt von der Stubenmusik (lacht). Das ist die beste Empfängnisverhütung. (Gelächter)

Stofferl Well: Uns ist halt irgendwann aufgefallen, dass es das traditionelle Liedgut, mit dem wir aufgewachsen sind, gar nicht mehr gab. Dass sich das Dorf verändert, dass sich die Umwelt verändert, dass sich die Leute verändern. Und dass sich das aber nicht widerspiegelt in der Musik, im Volkslied. Und wir haben versucht, geschwollen ausgedrückt, die Volksmusik wieder in die Jetztzeit zu transportieren.

Du hast jetzt eben deinen Kollegen Mick Jagger angesprochen, deinen Leidensgenossen … (Gelächter)

Stofferl Well: Nein, nein, der lebt sehr gut. (lacht)

Ich glaube auch. Aber habt ihr als Jugendliche denn Mick Jagger gehört? Oder andere Rockmusik?

Stofferl Well: Naa. Als ich das erste Mal „Honky Tonk Women“ von den Rolling Stones gehört habe, dachte ich, die machen eine Nummer vom Ringswandl.

Von wem?!

Stofferl Well: Vom Georg Ringswandl. Das ist ein bayerischer Liedermacher, ein Poet und schräger Vogel.

Michael Well: Der bayerische Bob Dylan.

Stofferl Well: Der hatte ein Lied gemacht, mit einem bayerischen Text auf die Melodie von „Honky Tonk Women“. Und ich habe nur das gekannt. Weil wir unter einer Käseglocke aufgewachsen sind. Wir kannten keine Rockmusik, keinen Punk, nichts.

Michael Well: Der Gerhard hat uns auch zum ersten Mal in die Münchner Kammerspiele gebracht.

Stofferl Well: Ich war das erste Mal in den Kammerspielen, als wir dort aufgetreten sind. Ich habe das vorher gar nicht gekannt.

Also wart ihr ein bisschen wie die Kaspar Hauser der Volksmusik. (Gelächter)

Michael Well: Die Familie war so riesig groß, wir waren einfach unter uns. Es war schon ein gewisser Zusammenhalt da. Wir haben uns dann langsam als Biermösl Blosn herauskristallisiert, der Karli hat da noch bei den Guglhupfa gespielt, das war auch eine Gruppe …

Bayern Open, 1995

Stofferl Well: … und die Schwestern haben die Wellküren gegründet.

Michael Well: Das Fundament war gut, wir haben sehr viel gelernt. Dramaturgisch, wie man einen Abend gestaltet.

Stofferl Well: Und musikalisch natürlich auch.

Und du, Gerhard? Hast du Rockmusik gehört?

Gerhard Polt: Ja.

Stofferl Well: (fängt an zu singen) Be-bop-a-lula … (alle lachen und reden durcheinander)

Gerhard Polt: Ich habe das natürlich alles gehört. Wenn du ein junger Mensch warst … in der Schule haben einige ein bestimmtes Outfit angehabt. Und das war für den Griechischlehrer eine Provokation. (fängt auch an zu singen) Be-bop-a-lula … (Gelächter) Ich weiß noch, diese Sprüche vom Lehrer, „Sacklzement, gehen Sie doch zum Bau!“ Einer war ganz gut, der hat gesagt, „Gehen Sie doch auf den Bau, da können Sie Zement schleppen, oder gehen Sie gleich in ein Realgymnasium.“ (Gelächter) Diese Musik war zersetzend. Vorher gab es ja noch den James Dean und diese revolutionären Typen aus Amerika. Natürlich haben die ersten Western-Filme auch eine große Rolle gespielt. Ich kann mich gut erinnern, „High Noon“, mit Gary Cooper, das war der Film. Da ist man dann auch so rausgegangen.

Michael Well: High Noon in Altötting. (Gelächter)

Gerhard Polt: Das war schon so. Ich habe das Gott sei Dank durch verschiedenste Umstände, familiär und so, alles kennengelernt. Auch klassische Musik, ich habe Händel sehr früh gehört. Ich habe Volksmusik sehr früh gehört, all das habe ich mitbekommen. So war der Zugang zu diesen Dingen relativ weit.

Stofferl Well: Das erste Mal Punk gehört habe ich von den Toten Hosen. Ich habe das nicht gekannt.

Also erst, als du die Hosen auch kennengelernt hast?

Stofferl Well: Ja freilich. In Wackersdorf. Da habe ich das erste Mal in meinem Leben Punk gehört. Und des war guat! Ich habe mir gedacht, das sind fünf Burschen, die sind Brüder im Geiste.

Auf Wackersdorf komme ich gleich zurück. Aber vorher, Gerhard: Man sagt dir nach, du seist sehr ruhig, du würdest langsam Autofahren, generell zur Entschleunigung neigen …

Stofferl Well: Entschleunigung? Der war überhaupt nie beschleunigt! (Gelächter)

Aber wie ist das denn mit so einer Musik, wie die Toten Hosen sie spielen? Ist dir das nicht viel zu hektisch und viel zu schnell?

Gerhard Polt: Sagen wir mal so: Wenn ich im Fernsehen einen Zirkus sehe, mit Tiger und mit Dompteur, dann interessiert mich das nicht. Aber wenn ich im Zirkus drin bin und ich rieche den Tiger und er steht da und ich weiß nicht, beißt der? Dann ist das spannend. Und so ähnlich geht es mir mit den Punks. Wenn ich die Musik daheim auf Platte höre, habe ich nicht dieses Gefühl, das ich habe, wenn es live ist. Wenn ich dabei bin und ich sehe diese Begeisterung auf der Bühne und vor der Bühne, dann habe ich da einen ganz anderen Zugang. Und übrigens nicht nur bei den Punks. Auch bei einem Konzert im Konzerthaus, selbst wenn da manche husten. Wenn es live ist, nehme ich die Huster im Konzerthaus gerne in Kauf. Das macht mir nichts. Auf der Platte werden die Huster ja immer beseitigt, das ist fast schade.

Michael Well: Deswegen lassen wir auf unserer CD bewusst den Schmutz drauf. Das Husten. Ich mag nicht diese glatten Sounds und Klänge, die man immer hört, aus jedem Radio, aus jedem CD-Player. Ich hab’s lieber analog und nicht digital.

Gerhard Polt: Es ist doch so: Wenn du die Toten Hosen persönlich erlebst, das ist einfach etwas anderes, als wenn du sie auf Platte hörst. Das schmälert ja nicht, dass jemand diese Musik besonders mag. Dabei zu sein, oder mit denen zusammen aufzutreten, das ist für mich wirklich toll.

Stofferl Well: Das ist eine unglaubliche Kraft, die da kanalisiert wird.

Michael Well: Das erste Mal, dass wir so ein Rock-Feeling überhaupt gespürt haben, das war mit den Hosen. Die Konzerte miteinander waren für uns eine neue Erfahrung.

Gerhard Polt: (Zu den Well-Brüdern) Jetzt muss ich mal eine Frage stellen, weil das interessiert mich jetzt. Wie habt ihr denn die Beatles empfunden?

Stofferl Well: „Help“ war eine unserer ersten Platten.

Michael Well: Die habe ich gekauft. Vorher gab es noch Hugo Strasser, „Tanzplatte des Jahres“. (Gelächter) Das war so eine Tanzplatte, weil es damals auch Tanzkurse gab. Aber eine der ersten Platten war „Help“. Da waren wir wirklich von den Socken.

Also gab es bei euch doch nicht nur Volksmusik.

Karli Well: Unsere älteren Geschwister haben Rock’n’Roll gehört. Aber für uns war das in jungen Jahren eigentlich nicht zugänglich. Ein Bruder hatte lange Haare. Unser Opa war Frisör und sagte immer, „Diese langen Haare! Der kriegt eine Glatze!“ und so weiter. Die Älteren haben das gehört, zum Beispiel Rolling Stones, „Sticky Fingers“. Led Zeppelin.

Michael Well: Auf der Kellertür stand Led Zeppelin. Ich wusste nicht, was das ist.

Irgendwann, als ihr schon die Biermösl Blosn wart, müsst ihr dann ja auf Gerhard Polt gestoßen sein. Wie kam es zum ersten Zusammentreffen?

Michael Well: Die Kulturszene in München ist ja überschaubar. Wir sind uns 1979 das erste Mal über den Weg gelaufen, das war beim Bayerischen Rundfunk. Da haben wir bei so einer Sendung mit den Biermösl Blosn ein Warm-Up gemacht. Und da war auch der Gerhard, zusammen mit dem Hildebrandt, dem Hüsch (Hanns Dieter Hüsch, Kabarettist; Anm. d. Red.) und dem Hube (Jörg Hube, ebenfalls Kabarettist; Anm. d. Red.). Vier Kabarettisten haben da …

Stofferl Well: … gescheit daher geredet …

Michael Well: … und wir hatten da vorher Musik gemacht. Wir kannten den Gerhard vorher schon von seinen Platten, „Der Erwin“. Ein Freund hatte uns das gezeigt und wir waren davon wirklich begeistert. Irgendwann nach dieser Fernsehgeschichte haben wir dann in Neuperlach, einem Stadtteil von München, das erste Mal zusammen gespielt.

Stofferl Well: Da haben wir gemerkt, das passt gut zusammen. Wir haben die gleichen Speisekarten, die gleichen Getränkekarten, den gleichen Humor. Und haben aneinander Freude und Spaß.

Gerhard, waren dir denn die Biermösl Blosn ein Begriff, bevor du sie zum ersten Mal getroffen hast?

Die Biermösl Blosn und Gerd Polt zu Beginn der gemeinsamen Zeit 1980

Gerhard Polt: Ehrlich gesagt nicht. Ich habe in dieser Sendung das erste Mal von ihnen gehört.

Michael Well: Das sind halt die Zufälle des Lebens. Man trifft jemanden und merkt, es passt zusammen, die Chemie stimmt. Man findet sich. Wir waren meiner Meinung nach eine gute Ergänzung zu dem, was der Gerhard gemacht hat. Wir haben Tagespolitik zum Inhalt gehabt, ähnlich wie der Hildebrandt, aber eben in Form von Gstanzl (spezielle bayerische Spottgesänge; Anm. d. Red.). Und wir haben unseren eigenen Mikrokosmos beschrieben, in dem wir aufgewachsen sind.

Karli Well: Wir haben ja eben vom Brettl gesprochen. Was die Biermösl Blosn gemacht haben, war damit verwandt. Das kommt eigentlich aus einer ähnlichen Ecke.

Wart ihr von da an immer zusammen unterwegs?

Michael Well: Sehr viel. Der Gerhard hat aber auch noch seine Auftritte gemacht …

Stofferl Well: Jeder hat schon seine Eigenständigkeit gehabt. Wir waren eine geschlossene Gruppe und der Gerhard hat auch seine eigenen Sachen gemacht. Aber wir wussten dann, was der Gerhard kann und er wusste, was wir können.

Gerhard Polt: Zwei Dinge waren wichtig. Ich bin ja mit meinen Auftritten bis in die Münchener Kammerspiele gekommen. Davon haben die Biermösl Blosn gar keine Ahnung gehabt, aber da sind wir dann zusammen hin gegangen und aufgetreten. Und das war für uns alle eine sehr schöne Geschichte.

Stofferl Well: Wie gesagt: Da war ich das erste Mal in einem Theater.

Gerhard Polt: Und eine zweite Sache war für uns alle wichtig. Dass die Biermösl Blosn im „Scheibenwischer“, der Fernsehsendung vom Dieter Hildebrandt, aufgetreten sind. Das war schon ein Ereignis. Ich weiß noch, aus meiner Sicht damals war das nicht selbstverständlich. Der Regisseur der Sendung war Sammy Drechsel, der große Zampano. Ein sehr berühmter Sportreporter, auch selbst Fußballer, ein interessanter Mann auf alle Fälle. Er war ein großer Impresario des Kabaretts, einer der Begründer der Münchner Lach- und Schießgesellschaft (politisches Kabarett, schon 1956 gegründet von Sammy Drechsel und Dieter Hildebrandt; Anm. d. Red.). Und ich weiß noch, als ich vorgeschlagen habe, dass die Biermösl Blosn im „Scheibenwischer“ mitspielen sollen, da hat er gleich gesagt, dass das doch keiner versteht. Die Sendung lief in der ARD und damals war es noch so, dass immer behauptet wurde, bayerisch könne keiner verstehen. Das sei nicht sendefähig.

Michael Well: Nur mit Untertiteln.

Gerhard Polt: Er hat wirklich gesagt, dass man das ja untertiteln müsste (lacht). Wenn, dann sollten die doch bitte zum Bayerischen Fernsehen gehen, aber ARD sei nicht drin. Und dann haben die Gisela Schneeberger (Schauspielerin und Kabarettistin, die seit den 1970ern eng mit Polt zusammenarbeitet; Anm. d. Red.), der Hanns Christian Müller (Regisseur, Drehbuchautor und vieles mehr, der ebenfalls zu den engsten Weggefährten Polts gehört und später auch mit den Toten Hosen zusammenarbeitete; Anm. d. Red.) und ich lange mit dem Dieter Hildebrandt geredet. Wir haben alle gesagt, die sind toll, das müssen wir machen! Und dann hat er sich erweichen lassen. Der Auftritt war dann ein Riesenerfolg, das war ein Mordsding damals.

Stofferl Well: In der Kabarettistenszene war damals eigentlich keine richtige Konkurrenz untereinander. Es gab halt die Monolithen wie den Gerhard und Hildebrandt und Hüsch, Otto Grünmandl (österreichischer Kabarettist; Anm. d. Red.) und so weiter.

Gerhard Polt: Damals gab es noch nicht so viele Kabarettisten. Heute ist es ja so: Es gibt zwei Arten von Sendungen, die kosten nichts. Einmal sind das die Kabarettsachen, da muss man nur eine Kamera hinhalten und dann steht da jemand. Und dann sind es die Küchensendungen. „Hmm, das schmeckt aber gut, da könnte noch ein bisschen Senf rein.“ (Gelächter) Das sind die billigsten Fernsehsendungen. Aber damals war das noch anders, das war ein Riesenaufwand. Ich weiß noch, beim „Scheibenwischer“, was wir geprobt haben. Tagelang geprobt! Und da war eine Mannschaft mit über 30 Leuten, die das betreut haben. Ich werde nie vergessen, dass allein für mich zwei Damen in der Schneiderei abgestellt waren. Eine hat mich dann gefragt, ob ich nicht irgendeinen Knopf zum Annähen hätte, sie mache das gern. Ich habe gesagt, dass die Knöpfe aber alle dran sind. Sie sagte, ich solle Bescheid sagen, wenn mal einer locker ist.

Michael Well: Sie hat ihm dann zwei Anzüge genäht. (Gelächter)

Zu dem Zeitpunkt gab es die Biermösl Blosn schon eine Weile. Ihr habt 1976 angefangen. Das ist genau das Jahr, in dem es mit Punk losging. Habt ihr das mitbekommen?

„It’s Punk! It’s Punk!“: Die Biermösl Blosn 1983 in Ulm im „Saustall“

Michael Well: Unseren ersten Kontakt mit Punk hatten wir, als der Stofferl und ich 1978 mit zwei schwäbischen Kollegen nach Irland geflogen sind. Das war unser erster Flug. London, Irland. Der Stofferl hat immer eine Lederhose getragen. Und dann sind ihm Kinder nachgelaufen und haben gerufen, „It’s Punk! It’s Punk!“ (Gelächter). Wir haben Punk wahrgenommen als Lust auf Nonkonformität, als Provokation. Der Vater vom Kiki erzählt uns oft, wie das war, als der Kiki irgendwo in Ostwestfalen rumgelaufen ist und der einzige war mit so einer Frisur. Da konnten die Leute gar nicht mit umgehen.

Gerhard Polt: Weißt du, was Punk für mich zuerst bedeutet hat? Ich habe ja in Schweden gelebt und spreche gut Schwedisch. Und Punk („pank“; Anm. d. Red.) heißt auf schwedisch pleite. (Gelächter)

Michael Well: Das kommt doch von blank! (lacht)

Stofferl Well: Die große Freiheit hast du nur, wenn du nichts hast.

Vielleicht war es ja gar kein Zufall, dass ihr 1976 zeitgleich mit der Punk-Bewegung angefangen habt. Hattet ihr eine ähnliche Motivation wie die Punks? Könnte es sein, dass das, was ihr gemacht habt, eine bayerische Auslegung von Punk war?

Michael Well: Das erinnert mich an Überschriften, die es manchmal über uns gibt: „Anarchie aus Bayern“. Mir war das damals gar nicht so bewusst, dass wir etwas Ungezähmtes, etwas Nichtkonformes und Widerspenstiges hatten. Dass wir ausgebrochen sind aus diesem strengen Volksmusik- und Traditionskorsett, das uns umgeben hat. Und auch aus dieser heilen Welt der Großfamilie Well.

Gerhard Polt: Diese Musik war sakrosankt.

Michael Well: Da waren wir schnell die Nestbeschmutzer. Die auch Fragen gestellt haben, wie das mit dem Dritten Reich war. Der eine oder andere Bürgermeister war ja SS-General gewesen.

Stofferl Well: Der Filbinger (Hans Karl Filbinger, Nationalsozialist und späterer CDU-Politiker; Anm. d. Red.) war Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Michael Well: Das war eine hochpolitische Zeit.

Gerhard Polt: Wobei ich sagen muss, was ganz wichtig ist: Die Volksmusik wurde im Dritten Reich nicht besonders gefördert. Damit haben die Nazis nichts anfangen können.

Karli Well: Regionale Volksmusik wollten die nicht. Und Volksmusik ist immer regional, mit Dialekt. Die wollten deutsche Volksmusik.

Gerhard Polt: Wagner-Volksmusik. (Gelächter)

Stofferl Well: Das erste, was ich von den Hosen wahrgenommen habe, das war übrigens der wahre Heino (Norbert Hähnel, in den Achtzigern mit den Hosen auf Tour; Anm. d. Red.). Da habe ich mich echt kaputt gelacht (lacht sich kaputt). Das war Wahnsinn. Es gab diesen Sänger Heino, der gerade die drei Strophen vom Deutschlandlied aufgenommen hatte. Und dann sagt man einfach, ich bin aber der wahre Heino. (Gelächter)

Das hattet ihr also schon mitbekommen, auch wenn ihr die Musik der Hosen nicht kanntet.

Michael Well: Ja. Durch den wahren Heino waren die Hosen uns schon mal grundsätzlich sympathisch.

Dann lasst uns - endlich! - darüber sprechen, wie ihr die Hosen das erste Mal getroffen habt. Der Legende nach habt ihr euch ja 1986 beim Anti-WAAhnsinns-Festival in Wackersdorf kennengelernt, das gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf protestierte. Waren da eigentlich nur die Biermösl Blosn vor Ort? Oder warst du auch da, Gerhard?

Gerhard Polt: Nein. Bei diesem Ding war ich nicht dabei. Ich war aber vorher schon in Wackersdorf gewesen. Wir hatten da schon einmal gespielt, im Hüttendorf (eine Art Protestcamp der Atomkraftgegner; Anm. d. Red.).

Michael Well: Das Anti-WAAhnsinns-Festival war im Juli 1986. Im Backstagebereich hatte jeder sein eigenes Zelt. Aber wir haben gesehen, dass die Hosen da Fußball gespielt haben und dann haben wir uns angeschlossen und sind so ins Gespräch gekommen.

Stofferl Well: Da haben wir uns ausgetauscht. Dass wir eigentlich vom Herzen, aus tiefster Seele 1860-München-Fans sind, uns aber Düsseldorf als Verein immer schon sympathisch war.

Also lief die Annäherung eigentlich über Fußball.

Stofferl Well: Auch, ja. Und die Hosen haben fair gespielt. Sie haben nicht wild alles umgemäht. Wir haben später noch schuhplattlern können, obwohl wir mit den Hosen Fußball gespielt hatten (Schuhplattler ist ein bayerischer Volkstanz; Anm. d. Red.).

Dieses Festival war zu dem Zeitpunkt das größte Rockfestival, das je in Deutschland stattgefunden hatte. Und auch das erste Festival von so einem Kaliber, bei dem die Hosen spielen durften - vormittags, als erste Band. Alle, die in der deutschen Musikwelt Rang und Namen hatten, waren da - Leute wie Herbert Grönemeyer. Kann es sein, dass ihr und die Hosen unter den auftretenden Künstlern einfach die größten Außenseiter wart?

Stofferl Well: Wir waren auf alle Fälle das Gegenteil von arriviert.

Michael Well: Wir hatten den Vorteil, dass wir inhaltlich etwas zu den Protesten beitragen konnten, und zwar in der Sprache der Leute. Mit einer Musik, die ihnen vertraut war. Und die Hosen waren vollkommen authentisch und auch politisch. Die anderen Künstler waren arriviert und haben das so herunter gesungen, aber das war nie so authentisch.

Gerhard Polt: Den Grönemeyer hat in der Gegend sowieso keiner verstanden. (imitiert Herbert Grönemeyer; Gelächter)

Michael Well: Die Hosen waren einfach mehr im Publikum verankert als Grönemeyer oder so. Die kamen selbst aus dieser Masse und hatten auch politisch und inhaltlich wirklich etwas zu sagen.

Erinnert ihr euch daran, wie ihr die Hosen das nächste Mal getroffen habt?

Michael Well: Das zweite Mal haben wir die Hosen getroffen, als wir miteinander einen Auftritt bei einem Festival in Plattling hatten. Das ist in Niederbayern, da kommt ein Teil unserer väterlichen Familie her. Da war der Willy Michl, die Toten Hosen und wir. Eine krude Mischung (lacht).

Stofferl Well: Willy Michl war der erste bayerische Bluessänger.

Michael Well: Der hat’s aber schwer gehabt. Und die Hosen haben die Situation ein bisschen gerettet. Das Ganze war so unbedarft, so holzgeschnitzt. Aber ein lustiger Einfall, eine lustige Mischung.

Wisst ihr noch, wann das war?

Michael Well: Relativ bald nach Wackersdorf. Das muss 1987 gewesen sein. Etwas später dann, und das hat uns wirklich gefreut, waren wir in Köln und haben in einem Theater gespielt und die Hosen waren vollzählig da. Und Trini, der erste Hosen-Schlagzeuger, war auch dabei. So sind wir enger zusammen gekommen. Den Begriff von Freundschaft haben wir durch die Hosen ein bisschen neu kennengelernt.

Inwiefern?

Michael Well: Dass man nicht immer zusammen sein muss, aber wenn man sich sieht, dann ist das sehr nah und direkt. Da muss man sich nicht lang erklären. Die Hosen sind äußerst verlässlich. Sie rufen immer zurück und sind immer hundertprozentig da, wenn man etwas braucht.

Wie hat sich eure Freundschaft denn entwickelt? Ihr habt euch dann immer wieder mal getroffen und irgendwann hat auch Gerhard die Hosen kennengelernt?

Michael Well: Gerhard hat ja mitgemacht bei den „Willi“-Stücken auf der „Kreuzzug ins Glück“-Platte. Das kam durch den Hanns Christian Müller, der die Hosen zu der Zeit auch gerade kennengelernt hatte. Der hat da auch mit geschrieben. Wir waren in dem Haus, wo Karli jetzt wohnt. Da hat damals der Hanns Christian Müller gewohnt und ein kleines Studio gehabt. Und die Hosen wollten eben, dass der Gerhard seine Kommentare für die Platte macht. Das war wirklich innerhalb von einer halben Stunde aufgenommen. Der Gerhard hat da immer etwas improvisiert. Wir haben den Soundtrack dazu gemacht. Das war alles ganz einfach. Das war so der Einstieg für Gerhard mit den Hosen. Die waren auch Fans von ihm, die kannten den Gerhard ja schon.

Stofferl Well: „Zehn kleine Jägermeister“ ist in dem Haus auch entstanden, glaube ich.

Michael Well: Das hat der Müller zusammen mit dem Campino geschrieben.

Die Well-Brüder zusammen mit den Toten Hosen auf der "Advent"-Tour im November 2001 im Wiener Burgtheater

Irgendwann seid ihr und die Hosen dann auch mit einem gemeinsamen Programm aufgetreten.

Michael Well: Das erste Mal war 1998 im Münchener Volkstheater, dass wir einen gemeinsamen Abend gemacht haben. Hanns Christian Müller war der Intendant. Gerhard hat damals gesagt, wir machen ein „Duell der Volksmusik“. So hieß das dann. Das war irgendwann in der Weihnachtszeit. Einfach super.

Stofferl Well: Campino hat Trompete gespielt.

Michael Well: 2001 waren wir dann zusammen im Wiener Burgtheater, das nannte sich „Abvent"

Gerhard Polt: Daran erinnere ich mich gut. Das Wiener Burgtheater ist ja der geheiligte Tempel. Dass da eine Punkband gespielt hat! Und die Leute haben später auf den Polstersesseln nicht mehr gesessen, sondern mit ihren Füßen darauf gestanden! (Gelächter) Das Burgtheater ist wirklich ein heiliger Ort. Im deutschsprachigen Raum ist es das Theater schlechthin. Und da treten Punker auf! Das war ein Skandal für manche. „Was wollen die denn hier? Das ist ja ungeheuerlich!“ (Gelächter). Und mit unserem Publikum und dem Publikum von den Hosen sind sich da Menschen begegnet, auf dieser großen Treppe, die voneinander nicht mal geahnt hatten, dass es sie gibt. Zwei verschiedene Menschengattungen. Das war Wahnsinn. Für das Theater war es das erste Mal, dass es da so etwas gab.

Michael Well: Für die Hosen war das auch eine vollkommen neue Erfahrung, in diese bürgerliche Welt einzudringen. Aber man muss dazu sagen, das lief unter der Direktion vom Claus Peymann (Theaterregisseur, 1986-1999 Direktion des Burgtheaters, heute Intendant des Berliner Ensembles; Anm. d. Red.).

Gerhard Polt: Der war unter den Konservativen in Wien zum Teil verhasst.

Michael Well: Er hat sich dann aber auch langsam angefreundet mit der Stadt Wien.

Stofferl Well: Lustig war, als wir das allererste Mal im Burgtheater gespielt haben, noch vor der Geschichte mit den Hosen. Das war da die erste Vorstellung, die länger als bis 23 Uhr gedauert hat und bei der sogar noch eine Zugabe gespielt wurde. Daraufhin haben wir eine ganz miese Kritik bekommen. Und als der Peymann verabschiedet wurde, hat der gleiche Kritiker geschrieben, wie toll der Peymann war, weil er so Gruppen wie Polt, die Biermösl Blosn und die Toten Hosen in das Burgtheater geholt hat (Gelächter).

Wie ging es nach dem Burgtheater weiter mit euch und den Hosen?

Michael Well: Wir haben dann überlegt, eine Theatertour zu machen. Das wurde 2005 die „Abvent“-Tour. Da sind wir viele Theater in Deutschland abgefahren. Freiburg, Frankfurt, Düsseldorf, Bonn, Dresden. Berlin und Hamburg auch. Das waren kleine Geschichten, aber das war einfach sauguat.

Hanns Christian Müller war hier erneut involviert. Welche Rolle hat er eigentlich gespielt?

Michael Well: Wir wollten halt, dass einer dabei ist, der uns kennt und der auch die Hosen kennt. Der ein bisschen die Fäden zieht, sich um das Bühnenbild kümmert. Man braucht eine Sicht von außen. Jemanden, der das ein bisschen führt, der auf alles schaut und das ein bisschen leitet. Der Müller hatte schon früh viel mit dem Gerhard zusammen gemacht, die alten Fernsehgeschichten. Aber er hatte eben auch mit den Hosen zusammengearbeitet. Und er hat viel Regie gemacht für Theaterstücke und für Kammerspiele, das hat gut gepasst.

Gerhard Polt, die Well-Brüder und Die Toten Hosen, 06.07.2017, München

2017 wart ihr dann wieder mit den Hosen auf Tour, diesmal wart ihr „Im Auge des Trommelfells“ unterwegs. Gab es da Unterschiede zu euren vorherigen gemeinsamen Konzerten?

Stofferl Well: „Im Auge des Trommelfells“ war am besten aufeinander abgestimmt. Wir haben versucht, bei den Hosen bestimmte Bläsersätze zu spielen, sie haben dafür Stubenmusik und Jodeln gelernt. Und der Gerhard hat das Ganze moderiert. Wir haben versucht, dem Ganzen einen schönen Rahmen zu geben und haben auch richtig geprobt dafür. Fast drei Wochen lang.

Zum ersten Mal?

Stofferl: Ja. Das hat mich gefreut. Die Hosen sind da höchst professionell ans Werk gegangen und haben gesagt, sie wollen mal richtig gescheit proben. Sie wollten nicht immer so blank auf der Bühne stehen (lacht).

Michael Well: Der Vincent Sorg war auch eine tolle Hilfe. Der hat gute Ohren. Die Proberei war schon toll für uns und die Tour war dann unvergesslich.

Karli Well: Im Nightliner! Zum ersten Mal.

14.07.2020, München

Michael Well: Da haben wir echt tolle Abende gehabt. Mit den Hosen im gleichen Nightliner. Ich erinnere mich an die Strecke von Wien nach Hamburg. Das war schon Wahnsinn.

Stofferl Well: Ich habe mir jeden Abend gedacht, genieß es, das ist eine einmalige Nummer.

Campino hat mal gesagt, als die Toten Hosen euch getroffen haben, merkten sie, dass in ihnen mehr Volksmusik steckte, als sie dachten - und ihr merktet, dass in euch mehr Punk steckt, als ihr dachtet.

Stofferl Well: Das stimmt. Punk kann Volksmusik sein und Volksmusik Punk.

Campino bei den Proben zu "Im Auge des Trommelfells" im Juli 2017

Bei den Hosen war es ja so, dass sie in ihren Anfangstagen oft als Unruhestifter und Störenfriede galten. Bei euch war das ähnlich, vorhin ist schon das Wort „Nestbeschmutzer“ gefallen. Die öffentliche Wahrnehmung der Hosen hat sich mit der Zeit geändert, die Band wurde immer etablierter. Gab es bei euch eine ähnliche Entwicklung? Habt ihr manchmal das Gefühl, vom Nestbeschmutzer zum bayerischen Kulturgut geworden zu sein, wo man mittlerweile froh ist, dass man euch hat?

Stofferl Well: In Bayern haben wir uns immer als Gegenkultur zur CSU und zur volkstümlichen Musik gesehen. Aber natürlich, wir haben in Wirtshäusern angefangen zu spielen, dann gingen wir irgendwann in die Theater. Und dann wurden wir auch von der Presse wahrgenommen. Wir hatten aber nie nur ein bestimmtes Publikum. Es war schon immer so, dass teilweise auch ein konservatives Publikum zu unseren Vorstellungen gekommen ist. Die sind nicht so eindimensional, wie man meinen könnte, dass sie sagen, zu so linken Ratten wie den Biermösl Blosn würden sie nie gehen. Im Gegenteil, da heißt es dann, die Biermösl Blosn heizen denen da oben gescheit ein, das schauen wir uns an, das ist lustig! In vielen Bayern steckt eine gewisse Rebellion. Der Achternbusch (Herbert Achternbusch; Künstler aus München, Anm. d. Red.) hat mal gesagt, die Bayern sind 70 Prozent Anarchisten, und die wählen alle CSU. (Gelächter)

Michael Well: Aber es stimmt natürlich: Mit der Zeit wirst du etablierter, die Säle sind voll, vor allem in Bayern, aber eigentlich überall. Natürlich hat sich da was verändert und man verändert sich auch selbst. Man wird älter. Aber es ist bei uns ähnlich wie bei den Hosen: Es kommt darauf an, ob man eine bestimmte Haltung behält oder nicht.

Karli Well: Das Publikum wird auch mit dir alt. Das verändert sich natürlich auch. Allerdings, als wir angefangen haben, da war nur das Publikum alt (lacht).

Stofferl Well: Aber, ob etabliert oder nicht, das ist mir eigentlich wurscht. Hauptsache, man bewahrt sich eine gewisse Kindlichkeit, mit der man staunend die Welt betrachtet. Das hält jung. Nicht kindisch, aber kindlich.

Die bayerischen Verhältnisse scheinen sich ebenfalls verändert zu haben. Es ist nicht mehr ganz so einfach wie früher, mit der CSU als dem großen Feindbild.

Michael Well: Ja, es ist lange nicht mehr so polarisiert, wie es in den 80ern und 90ern war.

Was bedeutet das für eure Herangehensweise? Ist die auch anders geworden?

Michael Well: Man merkt, die politischen Geschichten sind kurzlebiger geworden. Es gibt bestimmte Formen, Gstanzl, das haben wir mit den Hosen auch schon gemacht. Da macht man einfach einen Vierzeiler, den kann man immer aktuell halten. Aber man merkt, Themen, die gerade noch aktuell waren, sind gleich schon wieder vorbei. Ein Lied zu machen über eine konkrete aktuelle Geschichte, das ist schwieriger geworden. Also muss man etwas machen, das länger lebt, das länger aktuell ist und das dann auch mehr Bedeutung hat.

Stofferl Well: Wir haben dahingehend viel vom Gerhard gelernt. Dass es wichtiger und interessanter ist, wie bestimmte Verhältnisse geschaffen werden. Dass es nicht um die geht, die die Verhältnisse dann dirigieren, sondern um die, die sie ermöglichen. Das ist eigentlich interessanter und das war immer schon Gerhards Ansatz. Und die Halbwertszeit der Schäden, die ein Minister wie Andreas Scheuer (CSU-Politiker, unter Merkel Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur; Anm. d. Red.) anrichtet, ist leider viel länger als seine politische.

Gerhard Polt und die Well-Brüder 2020

Letzte Frage. Wer geht zuerst in den Ruhestand - die Toten Hosen, Gerhard Polt, oder die Well-Brüder?

Stofferl Well: Wir gehen nur miteinander in den Ruhestand (Gelächter). Wir danken zusammen ab

Gerhard Polt: In Mailand gibt es ein berühmtes Altersheim, wo die großen italienischen Opernsänger drin sind. Gestiftet von Verdi. Darin leben die berühmtesten Sänger und die mögen sich nicht begegnen …

Stofferl Well: Die konkurrieren immer noch. (Gelächter)

Michael Well: Zimmer mit Schießscharten! (noch mehr Gelächter)

Gerhard Polt: Das streben wir an.

Stofferl: Zusammen mit den Hosen, des werd lustig …