Andi und Campino entspannen im Tourhotel, 1990

Im Jahr 1990 gelingt ihnen mit „Kreuzzug ins Glück“ ihr erstes Nummer-Eins-Album.

Dezent größenwahnsinnig als Doppel-LP angelegt, handelt es sich um ein aberwitziges Potpourri irgendwo zwischen Ernsthaftigkeit, Wahnsinn, Politik und Blödsinn. Mit dabei sind die bis heute bei fast jedem Konzert gespielten Klassiker „All die ganzen Jahre“ und „Schönen Gruß, Auf Wiederseh’n“. Außerdem führt das Album erstmals die bayerischen Kleinkunst-Anarchos Gerhard Polt und Biermösl Blosn sowie das Londoner Punkrock-Urgestein Honest John Plain von den legendären Boys in den Hosen-Kosmos ein.

Darüber hinaus spielen die Toten Hosen inzwischen im Vorprogramm der Rolling Stones, deren Crew mit Kokain geschmiert werden muss, um für optimale Soundverhältnisse zu sorgen. Der Sommer 1990 führt die Band nach Italien, wo sie die Fußball-WM als Reporter für Radio und Presse begleiten. Wie es dabei zugegangen sein muss, ist in dem Video zu ihrer Coverversion von Adriano Celentanos „Azzuro“ zu erahnen.

1990 vor dem WM Quartier am Gardasee

Marquee Club, London 1992

Copyright Alpha Press

Campino mit Joey Ramone, 1991

Foto Michael Bußmann

Den Rest des Jahres verbringen sie auf Tour und geraten Anfang 1991 erstmals in eine kleinere Schaffenskrise. Für ein neues Album fallen ihnen plötzlich keine überzeugenden Ideen mehr ein. Man entscheidet sich, zurück zu den eigenen Wurzeln zu gehen, um wieder einen vernünftigen Blick nach vorne zu bekommen. Dazu fährt die Band nach London, um ihre alten Idole und Freunde zu treffen. Ein Studio wird gemietet und die großen musikalischen Vorbilder eingeladen, um mit ihnen jene Songs aufzunehmen, die die Hosen so stark geprägt haben. Mit Captain Sensible (The Damned), Charlie Harper (UK Subs), TV Smith (The Adverts), Jimmy Pursey (Sham 69) und später auch Joey Ramone (The Ramones) und Johnny Thunders (The Heartbreakers) nehmen die Toten Hosen „Learning English – Lesson One“ auf. Thunders, dem die Band schon 1986 im „Wort zum Sonntag“ ein Denkmal gesetzt hatte, wird zwei Tage nach den Aufnahmen seines Liedes „Born To Lose“ sterben. Auf dem letzten Foto, das von ihm gemacht wurde, ist er mit Campino im Studio zu sehen.

Campino mit Jimmy Pursey von Sham 69 im Marquee Club, 1992

Das letzte Foto von Johnny Thunders, 22. April 1991

Erstmals spielen die Toten Hosen 1992 in Argentinien. Es ist der Anfang einer großen Liebe.

Buenos Aires, 1996

Foto Fryderyk Gabowicz

Seitdem haben sie im River Plate Stadium gespielt, Tote-Hosen-Platten erscheinen in spanischen Versionen und die Band wurde zu Ehrenbürgern der Stadt Buenos Aires ernannt. Das wiedervereinigte Deutschland erlebt indes in Rostock, Hoyerswerda, Solingen und in vielen anderen Städten eine Welle von fremdenfeindlichen Pogromen und Anschlägen. Die Toten Hosen schreiben als satirischen Kommentar dazu das Stück „Sascha – ein aufrechter Deutscher“, dessen Text als Anzeige und Statement von vielen großen Tageszeitungen abgedruckt wird. Alle Einnahmen des Liedes werden gespendet an den „Düsseldorfer Appell gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“.

Schlagabtausch: Campino interviewt Angela Merkel für den Spiegel, 1994

Foto Josef Heinrich Darchinger

Andi, 1996

Foto Reiner Pfisterer

Neben „Sascha…“ enthält das 1993 erschienene Album „Kauf MICH!“ auch „Willkommen in Deutschland“, „Alles aus Liebe“ und „Wünsch DIR was“. Es ist, wie auch schon „Ein kleines bisschen Horrorshow“, eine Art Konzeptalbum. Dieses Mal geht es um Konsum und Zielgruppenüberwachung, eine Thematik, die auch 20 Jahre später im Internetzeitalter immer noch aktuell ist. „Kauf MICH!“ erreicht ebenfalls die Nummer Eins der deutschen Charts. Im elften Jahr der Bandgeschichte erscheint das erste Best-Of-Album „Reich & Sexy“, auf dessen Cover die Band nackt mit 13 unbekleideten Damen posiert. Eine Anspielung auf „Electric Ladyland“ von Jimi Hendrix. Die Rockband U2 engagiert die Toten Hosen als Vorband für ihre Stadiontour in Deutschland.

1993

Nachdem die Toten Hosen und ihr Manager Jochen Hülder 1990 mit Kikis Kleiner Tourneeservice (KKT) schon ihre eigene Konzertagentur ins Leben gerufen haben, gründen sie 1995 ihr eigenes Label, Jochens Kleine Plattenfirma, genannt JKP. Ihr erstes selbstveröffentlichtes Studioalbum wird „Opium fürs Volk“.

Campino besucht zur Inspiration für längere Zeit ein Kloster und zieht sich dort zum Schreiben zurück. Tatsächlich wirkt das Album textlich und musikalisch reifer und bildet eine Zäsur. Die Bandmitglieder sind jetzt Anfang dreißig und werden sich bald auch von ihrem grellbunten Second Hand-Look lösen.

Opium fürs Volk“ erscheint 1996. Es wird das bis dahin erfolgreichste Album der Band. Viele Lieder sind tiefgründig und befassen sich mit der ernsten Seite des Lebens. Um die Balance zu halten, nehmen sich die Hosen selbst auf die Schippe und schreiben das Lied „Zehn kleine Jägermeister“ in Anspielung auf ihren Ruf als Sauf- und Raufband. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet dieses Lied wird die erste echte Nummer-Eins-Single der Band und das auch noch sechs Wochen lang in Folge. Mit „Im Auftrag des Herrn“ erscheint im selben Jahr auch das zweite Live-Album der Band, das wie „Opium fürs Volk“ Platinstatus erreicht.

Bergfest auf der Tour "Opium für's Volk", 1996

Foto Patrick Orth

Das 1000. Konzert, 1997. Kiki unterrichtet Campino vom Unglück.

Foto Ralf Schmerberg

Nach 15 Jahren Bandgeschichte geben die Toten Hosen im Juli 1997 ihr 1000. Konzert im Düsseldorfer Rheinstadion: 60 000 Zuschauer, eine Wolkenkratzer-Kulisse als Bühne, Bad Religion als Special Guest. Doch das Konzert gerät aus der Bahn: Von Beginn an muss ständig unterbrochen werden, weil es vor der Bühne zu chaotischen Szenen kommt. Nach 50 Minuten erfahren die Toten Hosen, dass ein 16-jähriges Mädchen zu Tode gekommen ist. Im Trubel der euphorischen Stimmung ahnt die Menge davon nichts, aber die Hosen brechen zunächst ab, um sich backstage mit Feuerwehr, Polizei und Ärzten zu beraten. Um eine Massenpanik zu verhindern, wird die Band aufgefordert, sich nichts anmerken zu lassen und das Konzert weiterzuspielen.

Nachdem diese schwierige Situation überstanden ist, kommt es zum mentalen Zusammenbruch: Niemand kann sich vorstellen, wie es nach diesem Vorfall weitergehen kann, man denkt ernsthaft daran, die Band aufzulösen. Doch nach einer Auszeit beginnt man 1998 am anderen Ende der Welt neu: Mit der Warped-Tour durch Neuseeland, Australien und Asien. Anlässlich dieser Reise veröffentlicht man die englischsprachige Single „Pushed Again“, die bis auf Platz 2 der deutschen Charts klettert.

Auf der Suche nach dem Kamasutra. Indien, 1999

1999

Foto Olaf Heine

Protest gegen den Castor-Transport, Ahaus 1998

Foto Fryderyk Gabowicz

Wölli an der Copacabana, 1991

Foto Fryderyk Gabowicz

Zurück in Deutschland wird ein Spontankonzert bei den Castor-Protesten brutal von der Polizei abgebrochen und Campino handelt sich dabei von einem SEK-Beamten einen solchen Faustschlag ein, dass er im ganzen Gesicht blutet. Doch das Jahr endet versöhnlich: Gegen Ende des Jahren werden die Roten Rosen reaktiviert, um auf dem Album „Wir warten aufs Christkind“ Weihnachtslieder als Punkrock-Versionen zu interpretieren.

Der Schlagzeuger Wölli leidet unter immer heftiger werdenden Rückenproblemen. Der Engländer Vom Ritchie, früher bei der New-Glamrock-Band Doctor & the Medics und den Hosen als langjähriger Roadie bestens bekannt, ersetzt ihn nach und nach. Auf dem 1999 erscheinenden, inzwischen elften Studioalbum „Unsterblich“ sitzen noch beide abwechselnd hinter dem Schlagzeug, danach übernimmt Vom schließlich vollständig. Bei den Texten für „Unsterblich“ unterstützt der Liedermacher Funny van Dannen Campino. Zusammen schreiben sie für das Album unter anderem das Lied „Bayern“, das Uli Hoeneß zu der öffentlichen Vermutung veranlasst, die Toten Hosen seien der „Dreck, an dem diese Gesellschaft zugrunde geht“.

Vom und Wölli, Lissabon 1999

„Dreck, an dem diese Gesellschaft zugrunde geht“

Uli Hoeneß über Die Toten Hosen

00er

Kuba, Fortuna Düsseldorf, Auswärtsspiel, Friss oder stirb, Andreas Gursky, Nur zu Besuch, Burgtheater, G8-Gipfel, In aller Stille, Machmalauter