Euer neues Album „Santa Muerte“ ist gerade auf Platz 3 in den Charts eingestiegen, als erstes Album von Euch überhaupt. Wie fühlt man sich da?

Das alles ist aufregend und ungewohnt. Wir brauchen immer noch ein paar Tage, um das zu realisieren. Es fühlt sich komisch an, aber verdammt gut.

Habt Ihr das gefeiert und wie?

Ja, wir haben’s hart gefeiert. Es wurde nicht ins Glas gespuckt, wir mussten uns auch gegenseitig noch mal ein bisschen streicheln und uns gewahr werden, was da eigentlich passiert ist, wie absurd das ist, wie großartig. Lady Gaga, dieser ekelhafte Lombardi und dann die Broilers auf Platz 3 – was für ein schöner Querschnitt durch dieses Land…

Ändert die Chartposition was in Eurem Leben, jetzt wo Ihr auf einmal „Stars“ seid?

Ich befürchte nicht. Auch wenn ich damals immer die romantische Vorstellung hatte, wenn man in den Charts ist, dann wird man Millionär sein. Dann wartet ein weißer Schimmel vor der Tür, um Dich abzuholen, aber nein, die Realität sieht anders aus. Ich glaube, es wird sich nichts ändern. Vor der Tür wartet Andi und in der Wohnung schimmelt es.

Euch gibt’s schon relativ lange, erzähl uns von den Anfängen der Band. Wie seid Ihr zur Musik gekommen?

Interessant, dass wir gerade auf der richtigen Seite sind – bzw. der Leser – denn die Toten Hosen haben verdammt noch mal viel damit zu tun. 1991 haben die Toten Hosen ihr Album „Learning English“ rausgebracht. Irgendwie sind wir auf diese Scheibe gekommen und haben uns auf der Stelle in diesen für uns neuen Sound verliebt.

Ich erinnere mich, wie ich auf dem Mountainbike, das ich zur gleichen Zeit zu Weihnachten geschenkt bekommen habe, mit Kopfhörern durch Hellerhof gefahren bin und „Blitzkrieg Bop“ gehört habe. Das hat mich so umgehauen, das hat mir eine Gänsehaut bereitet und mir das Gefühl gegeben, ich wäre der stärkste Mann in Hellerhof. Das war ich zu dem Zeitpunkt wohl…

Ich habe mir dann im Original alles nachgekauft, was ich auf der Platte gehört habe, The Boys, Eddie & the Hot Rods etc. und das war unser Einstieg in die Punkrockszene und letztendlich auch der Kickstart oder der Auslöser, dass wir selber Musik machen wollten.

Das heißt, ihr wart vorher gar nicht punkmäßig unterwegs, sondern habt tatsächlich diese Platte gekriegt und das war für Euch so wie für die Generation vorher „Never Mind The Bollocks“ der Kickstart ins Punkleben.

Genau. Ich bin vorher Skateboard gefahren und habe natürlich durchs „Thrasher“-Magazin diverse Bands mitgekriegt, aber selbst eher AC/DC gehört, „Fly On The Wall“ habe ich irgendwann zu Nikolaus auf Tape bekommen und meine erste CD war dann „The Razors Edge“. Mit den Toten Hosen hat sich alles geändert.

„Mit den Toten Hosen hat sich alles geändert.“

Sammy, 1991 im 'Learning-English'-Shirt

Sehr viel später habt ihr die Hosen dann auch persönlich kennengelernt, wie war das für Euch?

Ich fand das sehr angenehm. Es war Weihnachten 2009, als wir mit den Jungs gespielt hatten. Andi, unser Schlagzeuger, ist dann kurzfristig erkrankt. Wenn Andi auf Menschen trifft, die er sehr schätzt und die ihm sehr wichtig sind – kürzlich erst mit Mike Ness das Gleiche in Österreich – dann wird der Junge krank. Und so war es auch mit den Toten Hosen. Es war ein gutes Gefühl und nachher haben wir uns ganz großartig gefühlt und mit glasigen Augen leicht besoffen dem Gig der Hosen gelauscht.

Was machen für dich die Toten Hosen der Gegenwart aus?

Das ist leider etwas, was man gar nicht so als Fan mitbekommt oder als Mensch, der nicht so nah an den Jungs dran ist: Nur dann weiß man, wie sehr Punkrock die Jungs eigentlich noch sind. Diese ganzen Leute, die für die Toten Hosen arbeiten, das sind alles großartige Menschen mit extrem viel Punkrock im Arsch. Das kriegt man leider von außen gar nicht mit, aber die Leute sollen mir einfach glauben, wenn ich das sage: Das ist ein verdammter Punkerhaufen!

Gibt es heute Bezugspunkte zwischen den beiden Bands?

Das gleiche Management, damit fängt’s ja schon mal an. (lacht) Ich glaube ja. Ich weiß nicht, ob es musikalisch so ist, wir lesen es in den Reviews kaum und man kann es auch nicht so runterbrechen „Die Broilers sind ein Nachfolger der Toten Hosen / klingen wie die Toten Hosen“ – das ist nicht so. Außer dass beide Bands verzerrte Gitarren benutzen, ist es doch sehr unterschiedlich. Aber Bezugspunkte sind sicherlich Bands, die wir gemeinsam lieben.

Für Campi oder auch die Toten Hosen generell ist „The Clash“ eine der wichtigsten Bands, so ist das auch bei uns.

Die stärksten Männer von Hellerhof: Sammy und Broilers-Drummer Andi 1991

Ihr habt als Teenager als Punks angefangen Musik zu machen, habt Euch aber 1994 von der Punkszene abgewandt und als Skinhead-Band weiter gemacht. Wie kam es dazu?

Zu der Zeit gab es grad die zweite oder dritte große Punkwelle mit Bands wie "The Offspring", "Rancid" und "Green Day" und die hatten Punkrock endgültig mal wieder in den Mainstream gebracht. Damit war auch Punkrock als Shocking-Thema total durch. Mit bunten Haaren konntest Du niemanden mehr aufregen, das war eher so „ach wie süß“ und wir waren 15 Jahre alt und wollten alles sein, aber nicht süß. Also mussten wir genau das Gegenteil tun. Und was Schlimmeres gab es zur damaligen Zeit nicht. Klar, in Solingen gab es diese ganzen Anschläge von Typen, die sich als Skinheads verkleidet haben mit vollgepissten Jogginghosen und die gab es dann in den Medien. Die Menschen haben also Skinheads immer als rassistische Arschlöcher wahrgenommen. Als wir dann als Punks rausgefunden haben, dass Skinheads zwar unglaublich hart aussehen, aber eine ganz andere Tradition haben, nämlich eine, die im Reggae und Ska liegt, weiß und schwarz gemischt ist, hat uns diese ganze traditionelle Skinhead-Bewegung so fasziniert, dass wir gesagt haben „Das ist genau unser Ding. Die Haare müssen ab und wir tragen etwas in uns, was nicht alle wissen. Erst mal schocken wir die Leute, aber wir wissen genau, wo wir herkommen und unsere Roots sind sozusagen auf Jamaika“.

„Ey, Skinheads sind nicht das, was Ihr glaubt. Skinheads sind im Selbstverständnis antirassistisch. Das ist antifaschistisch, das hat nichts mit Nazischeiße zu tun“

Sammy Amara

Natürlich muss man da auch die Frage nach der politischen Einstellung stellen. Man kommt als Skinhead zwangsläufig – und wenn nur in den Augen der anderen Leute – in Berührung mit rechter Politik. Wie seid Ihr damit umgegangen?

Ich habe mir Mitte der 90er immer gesagt: Wenn ich die Chance haben sollte, in den Medien etwas über Skinheads sagen zu können, dann muss ich das unbedingt nutzen. Dann muss ich den Leuten unbedingt sagen „Ey, Skinheads sind nicht das, was Ihr glaubt. Skinheads sind im Selbstverständnis antirassistisch. Das ist antifaschistisch, das hat nichts mit Nazischeiße zu tun“. Und das tu ich deshalb auch. Ich bin nicht genervt, wenn ich mich heutzutage nicht rechtfertigen, aber zumindest erklären muss. Das sind unsere Wurzeln, wir haben nichts, was wir bereuen sollten oder müssten. Wir sind damals genauso damit umgegangen. Wenn die Leute eine Frage hatten, haben wir den Leuten darauf geantwortet.

Wie würdest Du die Broilers musikalisch heute beschreiben?

Was man auf jeden Fall sagen kann, wenn man eine Schublade aufmachen muss, dass Punkrock die Basis ist. Darauf baut alles auf. Und was oben drauf ist, das fängt bei Pop an, geht über Reggae, Ska bis zu Country, Rockabilly, Folk – das ist so ein Bastard, das kann man nicht genau fassen. Also am liebsten die Schublade schnell wieder zumachen….

Welche Bands und Künstler würdest Du gegenwärtig als Eure musikalischen Einflüsse nennen?

Nach wie vor The Clash, die sind immer bei uns geblieben.

Wir fragen uns oft, wenn wir ein bisschen zu viel Schnaps gesoffen haben und unsicher sind bei gewissen Entscheidungen „Was würden The Clash tun?“. Keine Scheiße! Und wir glauben immer, The Clash würden genau das tun, was wir auch tun…

Relativ frisch in meinem Leben sind Musiker, die es schaffen, nur mit einer Holzgitarre und ihrer Stimme Emotionen auszulösen – auch Wut und so weiter. Das ist ein ganz wichtiges Ding, was auf der neuen Platte zum Tragen kommt, dass wir gesagt haben, wir können auch mit leisen Tönen Wut und überhaupt etwas bei den Menschen auslösen. Klar, wenn Du „The Clash“ sagst, dann musst Du bei uns natürlich auch „Bruce Springsteen“ sagen. Und natürlich werden uns ewiglich Social Distortion begleiten – in diese Richtung geht das.

Hat die Stadt Düsseldorf einen Einfluss auf Euch als Musiker ? Was bedeutet die Stadt für dich?

Wir sind alle hier in Düsseldorf geboren bis auf unseren Orgelspieler Christian, der kommt aus Oberhausen. Wir sind hier groß geworden und dementsprechend extrem eng mit der Stadt verknüpft. Ich bin ab und zu in Berlin und finde manche Stadtteile von Berlin geil, würde Düsseldorf aber nicht eintauschen wollen, weil das hier genau die richtige Größe hat. Ich bin in der Provinz aufgewachsen im Düsseldorfer Süden was im Herzen ein bisschen, na sagen wir, asozialer ist. Aber Du kannst in Düsseldorf immer alles haben, es kann in den Vororten ruhig etwas prollig sein oder Du gehst auf der Kö Pelze besprühen. Es ist alles möglich, Düsseldorf ist eine famose Stadt!

Die Broilers, 2002

Was ist das Beste daran, bei den Broilers zu sein? Was macht am meisten Spaß?

Dass wir es über die Jahre geschafft haben, Freunde zu bleiben. Das ist absolut nicht selbstverständlich, das erleben wir leider bei vielen, vielen Bands, die auch schon lange zusammen sind. Wenn Du das schaffen kannst, dann kannst Du eigentlich alles.

Dann streitest Du Dich, haust Dir manchmal auf den Kopf, aber verträgst Dich genauso und feierst auch zusammen. Ich glaube, das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Du jahrelang zusammen Musik machen und Spaß dabei haben kannst. Also blicken wir noch mal auf die Seite, auf der sich der Leser gerade befindet: Das haben die Toten Hosen genauso geschafft.

Was macht am wenigsten Spaß?

Interviews. (lacht) Was ich nicht mag, was aber auch in der letzten Zeit dazugekommen ist und auch dazu gehört, ist alles, was mit dieser ganzen Businessseite zu tun hat. Ich sag immer wieder „Ich will doch einfach nur Gitarre und Mundharmonika spielen“, aber es gibt eben noch viele Entscheidungen, die dazwischen hängen. Wir versuchen jetzt gerade, das so zu professionalisieren, dass wir es hoffentlich schaffen, das Brot jetzt erst mal ein paar Monate von der Band zu bezahlen und da muss man natürlich auch Entscheidungen treffen, die anstrengend sind. Aber that’s life.

Worum geht’s bei den Texten der Broilers? Gibt’s einen roten Faden, ein übergreifendes Thema?

Zumindest auf der neuen Platte kann man sagen, dass der rote Faden Veränderung ist. Das heißt wenn ich etwas in meinem Leben oder in meinem privaten Umfeld oder politisch etwas stört, musst Du selber aufstehen und das ändern. Es wird niemand für Dich ändern, DU musst es tun. Du kannst nicht lethargisch irgendwo rumsitzen und hoffen, dass es sich von alleine dreht. Es fängt mit so trivialen Sachen an wie „Geh zur Wahl!“, „Tritt dem Typen in den Arsch, der Dich nervt!“, „Beweg Dich einfach!“, „Handle!“.

Dieses „Do It Yourself“, was im Punkrock immer wichtig war, das ist da auch der rote Faden.

Geht Ihr gerne auf Tournee?

Wir gehen echt gerne auf Tournee. Ich glaube, wir sind auch das, was man eine Liveband nennt. Das heißt wir gehen ins Studio, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, die Songs auswendig zu lernen, damit wir die zusammen live singen können. Tournee bedeutet, die Bustür geht zu, die Flasche geht auf und Du kannst Dich entspannen. Der Alltag fällt von Dir ab. Das fühlt sich immer gut an, das ist immer irgendwie Urlaub und wir sind alle echt happy, wenn wir wieder auf die Bühne gehen können. Das fehlt uns dann auch. Das ist keine Floskel, das ist die Wahrheit. Du kriegst so direkt Feedback – das kriegst Du sonst nirgendwo.

Ihr geltet, ähnlich wie die Hosen als extrem fanfreundliche Band, Eure Eintrittspreise, das Merch, das ist immer alles im eher unteren Preisniveau angesiedelt. Wie nehmt Ihr Eure Fans wahr? Beeinflussen die Euch?

Ja, die beeinflussen uns. Wir lassen uns bei den Platten nicht dazwischenquatschen, denn das würde sehr anstrengend sein. Wir können ja gar nicht allen Menschen gerecht werden, die uns hören oder hören wollen. Jeder hat einen anderen Wunsch. Bei den Platten sind wir also ganz stur und sagen, das, was wir aufnehmen, ist nur das, was wir wollen. Manchmal klappt’s und wir haben Glück und die Leute mögen das auch. Wenn es dann klappt und die Leute das mögen, finde ich, dass die Fans und Supporter absolutes Mitspracherecht zumindest bei der Setlist haben. Denn die Konzerte spielen wir vor allen Dingen für die Leute vor der Bühne. Deshalb achten wir da schon auf Feedback. Die Fans und Supporter sollen mitentscheiden, was sie hören wollen.

Das beste Broilers-Konzert oder die Broilers-Konzerte, die Dir am meisten im Gedächtnis hängengeblieben sind? Herausragende Live-Erlebnisse?

Ich hab nicht so ein gutes Gedächtnis, deswegen schreibe ich immer alles irgendwo auf oder stumpf ins Handy, aber ich erinnere mich jetzt zum Beispiel an die letzten Gigs.

Ohne Flachs, da waren die beiden Headlineshows in Köln und Hamburg: Das waren Hexenkessel. Es ist wirklich von der Decke getropft, es ist aus dem Kopf geregnet – absolut großartige Momente.

Eigentlich ist gefühlt immer die letzte Show die beste Show und über die Jahre zurückblickend gab es so viele Highlights, die krieg ich gar nicht mehr zusammen.

Bestes Konzert einer anderen Band?

Ganz ehrlich: Es hat meistens nicht mal was mit der Band alleine zu tun, sondern mit dem Tag, also ob der Tag gut war und Du gute Laune hast, irgendwas mit der Umgebung stimmt. In dem Fall war es The Generators im AK47 so um ’97 rum. Das war ein unglaublich guter Abend, einfach gute Laune. Seit langem war ich mal wieder im Pogo. Mein Gott. Und dann gab es immer mal wieder solche Momente, wo einfach alles stimmt.

2011, zur »Santa Muerte«-Veröffentlichung

Wenn Du einen Wunsch frei hättest…

Ich hatte letztens bei einem Interview schon mal darauf geantwortet und die Band hat mich stirnrunzelnd angeschaut und gesagt „Bist Du bescheuert?“, denn das hört sich jetzt vielleicht überraschend an, aber seien wir ehrlich: eigentlich zählt nur Gesundheit. Kuck mal, wie alt ich geworden bin. Ohne Scheiß, das ist das Einzige, was zählt. Solang ich nicht „Weltfrieden“ sag, ist ja alles in Ordnung… (lacht)

Was sind deine Pläne für die Broilers?

Ich hoffe, wir können mit so viel Spaß und Leidenschaft und Freude an der Musik weitermachen und vielleicht irgendwann Bruce Springsteen-artig mit 60 Jahren über die Bühne laufen – oder meinetwegen wie Herr Doktor Lemmy in einer kleinen, zugemüllten Küche Pommes braten. Wenn wir es schaffen könnten, in diesem Alter immer noch Musik zu machen und so viel Spaß daran zu haben, dann wäre ich schon echt glücklich.

Wo siehst Du Dich in 20 Jahren?

Pommesbratend in der Küche mit Warze und Schnurrbart. (lacht)

Schlusswort?

Aufregende Zeit und es wird alles nur noch besser…