„Bei mir haben Nick Cave und Andi gewohnt“
Was hat den Toten Hosen am West-Berlin der frühen 80er Jahre so gefallen, dass sie immer wieder dorthin gefahren sind?
West-Berlin war damals ein Ort, an dem sich gleichgesinnte Leute aus der ganzen BRD trafen, darunter viele Bundeswehr-Flüchtlinge. Wenn man erstmal hier war, konnte man machen, was man wollte. Und es gab überdurchschnittlich viele Menschen in der Stadt, die sich für Musik interessierten. So existierten bald zahlreiche Läden, in denen man auftreten konnte.
Du hast in West-Berlin für das legendäre Label Factory Records gearbeitet hat, auf dem die Platten von Joy Division erschienen. Wie war Dein Kontakt zu den Hosen?
Die anderen machten gerade ihren Zivildienst in Düsseldorf, aber Andi war bei mir gemeldet, um der Bundeswehr zu entgehen. Weil er nun einmal in West-Berlin gemeldet war, musste er auch ab und zu hier sein. Wir lebten angeblich zusammen in einer winzigen 21-Quadratmeter-Wohnung – allerdings nur auf dem Papier.
Ihr seid nicht aufgeflogen?
Zum Glück hat die Meldestelle die Wohnung nie überprüft. Sie war so klein, dass ich schon Probleme hatte, dort alleine zu leben. Ein paar Jahre später ist wirklich mal ein anderer Musiker zu mir dazu gezogen: ein gewisser Nick Cave. Ihn hat es komischerweise nicht gestört, auf ein paar Metern zu hausen.
Du hast die wilde Zeit gerade für die Doku „B-Movie“ zusammengefasst. Wie konntest Du den Film überhaupt bebildern?
Die Bilder stammen aus den unterschiedlichsten Quellen und von über 70 Filmemachern. Ich habe in den achtziger Jahren ein paar Beiträge für ITV und die BBC gemacht – über die Musikszene in West-Berlin und wie es ist, dort als Ausländer zu leben. Knut Hoffmeister, Buttgereit/Jelinski oder Rolf S. Wolkenstein haben damals einiges in der Punk-Szene gedreht. Es sind viele private Aufnahmen von irgendwelchen Kunststudenten dabei, die noch nie das Tageslicht gesehen hatten. Und wir sind in die TV-Archive gestiegen und haben Schnipsel aus den Nachrichten geborgen.
Was war Dein genauer Job bei der Produktion der Doku?
Ursprünglich wurde ich nur angeheuert, um den Soundtrack für den Film zu machen, um die Songs zu restaurieren. Aber als der Produzent Jörg Hoppe meine privaten Videokassetten gesehen hat, war er total baff. Jetzt wird die ganze Geschichte komplett aus meiner Perspektive erzählt.
Warum bist Du als 20-Jähriger Engländer eigentlich in West-Berlin gelandet?
Experimentelle elektronische Musik kam damals nur aus Deutschland.
Ich habe mich schon in den 70er Jahren für Krautrock interessiert. Nach meinem ersten Deutschland-Besuch 1976 war ich total geflasht. In England gab’s Synthesizer immer nur bei riesigen Bands wie Yes, Pink Floyd oder King Crimson. Dann, schon zu Punk-Zeiten, kam „Warm Leatherette“ raus von The Normal – es kam Hoffnung auf. Nur Synthesizer waren damals viel zu teuer.
Was hast Du in diesen Tagen in Manchester gemacht?
Ich habe im Virgin-Plattenladen gearbeitet, der damals noch sehr klein war, und da kamen plötzlich die ersten Punk-Platten raus. Das war total erfrischend. Und ich habe auch eine Band gegründet, die Frantic Elevators. Unser Sänger war Mick Hucknall, heute bei Simply Red. Wir standen sogar einmal mit Sham 69 auf einer Bühne.
Die Behörden in der DDR fanden Punk-Rock gar nicht schicklich. Für sie war es ein Zeichen der kapitalistischen Gesellschaft.
Mark Reeder
Wie lange dauerte diese Punk-Zeit in England?
Ab 1978 wurde alles immer kommerzieller. Es erschienen Platten von Plastic Bertrand. Was in Deutschland später die Neue Deutsche Welle für den Punk war, gab es in anderer Form zuvor auch in England. Da habe ich entschieden, dass ich woanders hinwill. Ich wollte einfach noch viel mehr elektronische Platten kaufen (lacht).
Wie bist Du nach West-Berlin gekommen?
Damals gab es keine Billig-Airline wie Easy-Jet. Man musste mit dem Auto oder Motorrad fahren. Ich hatte ein Billigticket, mit dem man überall in Europa mit der Bahn fahren konnte. Vorher habe ich eine Tour durch Düsseldorf, Köln, Frankfurt, München und Hamburg gemacht, um herauszufinden, wo ich am besten hinpasse. Ich war damals auch im Ratinger Hof und habe Carmen Knoebel getroffen. Doch Berlin hat mich am meisten angezogen.
Was war dein erster Eindruck von der Stadt?
Ich habe mich an eine Raststätte an der DDR-Grenze hingestellt und bin als Tramper hingereist, weil ich meinen Anschlusszug verpasst hatte. Früher hatte ja jedes Auto auf der Transitstrecke nur ein Ziel: West-Berlin. Zuerst einmal ging es drei Stunden durch die DDR, weil man nicht schnell fahren durfte. Grenzanlagen, die totale Dunkelheit auf der Strecke und irgendwann das hell erleuchtete West-Berlin – es war wie in einem Science-Fiction-Film.
Was hat Dich an West-Berlin gereizt?
Es war nicht so, dass die Leute in anderen Städten von Berlin geschwärmt hätten. Die Musik hat mich hier gefesselt. Und die Tatsache, dass die Stadt zweigeteilt war. Und dass niemand etwas über den anderen Teil der Stadt wusste.
Es war auch längst nicht der Touristen-Ziel heutiger Tage...
Als ich 1978 in die Stadt kam, gab's hier nur eine Handvoll Engländer. Es gab die Alliierten, die uns Schutz boten vor dem vermeintlichen russischen Feind, sonst waren nur wenige Ausländer in der Stadt.
Du hattest in West-Berlin unzählige Jobs – vom Türsteher bis zum Musikjournalist. Und Du warst Manager und Tontechniker für Malaria. Wie kam es dazu?
Gudrun Gut, die Schlagzeugerin von Malaria, hat im Zensor-Plattenladen gearbeitet. Ich habe in ihr also sofort eine Gleichgesinnte erkannt. Dann brauchten sie jemanden für die Band, der sie auf Tour abmischt. Ich habe das ziemlich schnell gelernt und war dann ihr Mixer, ihr Manager und außerdem mit meiner eigenen Band; Die Unbekannten, ihre Vorgruppe.
Wann kamst Du in Kontakt mit den Hosen?
Jochen Hülder hat ein Konzert in Bochum in der Zeche veranstaltet – mit Malaria, Neubauten und Andreas Dorau. Er hatte mich vorher angerufen und gefragt, ob wir dort spielen können. Natürlich konnten wir. Für Malaria war es etwas Besonderes, außerhalb Berlins in einer so großen Halle aufzutreten. In Berlin spielten sie im SO36, und das war auch recht groß, aber außerhalb waren es meistens nur kleine Clubs. In Bochum habe ich Jochen zum ersten Mal persönlich getroffen.
Bei dem Konzert lerntest Du auch Campino kennen...
Er war mein Fahrer, wurde mir zufällig zugeteilt. Und während wir durch die Gegend fuhren, hat er mir von seiner neuen Band erzählt. Dass er der Sänger von ZK war und gerade eine neue Band gegründet habe. Ihr Name: Die Toten Hosen. Von dem Zeitpunkt an war ich involviert.
Du hast dann auch für die Hosen gearbeitet...
Jochen sagte mir, dass sie jemanden suchen, der für einen besseren Live-Sound sorgt. Ich wurde ihr Live-Mixer für die wichtigen Konzerten. Bei Wohnzimmerkonzerten war das nicht nötig, aber wenn in der Batschkapp in Frankfurt gespielt wurde, fuhr ich mit. Mit dabei waren dann auch immer schon Faust und Elmar, die einen PA-Verleih hatten. Wir sind dann auf eine elendig lange Tournee gegangen zusammen mit dem wahren Heino.
Was war Jochen Hülder, der Hosen-Manager, damals für ein Typ?
Er hatte längere Haare, immer eine Pilotenbrille auf, dazu Bomberjacke und Jeans. Und er war total Coca-Cola-süchtig. Er hatte immer einen Kasten Cola hinten in seinem Auto. Und er fuhr immer mit einer Flasche Coca-Cola zwischen den Beinen. Er war sehr engagiert und hatte einen großartigen Humor. Wir haben fortan ständig Ideen ausgetauscht.
Wie war Eure Zusammenarbeit, was Malaria angeht?
Er fand die Mädchen einfach super! Es dauerte nicht lange, da wurde er zu unserem Co-Manager. Er hatte einfach nochmal ganz andere Kontakte als ich. Vielleicht glaubte er auch, mit einer Mädchenband mehr erreichen zu können als mit einer Jungsband.
Was war der Unterschied?
Malaria waren deutlich seriöser als die Hosen, fast schon Kunst. Die Toten Hosen waren als Punk-Rock-Band unterhaltsam und lustig. Die Leute haben sie aber nicht so ernst genommen. Jochen hat dann auch die Touren für Malaria organisiert. Und nachdem wir unsere Band in Shark Vegas umbenannt hatten, haben wir unsere erste Platte sogar bei Totenkopf herausgebracht, dem damaligen Label der Hosen.
Du hast Dir als Live-Mixer für die Hosen Dein Trommelfell zerstört...
Die Hosen haben zwei Monate ohne Pause gespielt, vielleicht gab's in der Zeit zwei Off-Days, sonst jeden Tag ein Konzert. Da waren Orte dabei, die nicht mal Straßennamen hatten. Wir waren wirklich überall in Deutschland. Und ich habe bei der Zugabe immer Vollgas gegeben. Kurz vor dem letzten Konzert der Tour ist mein Trommelfell eingerissen.
Der Arzt hat mich gefragt: Sind Sie Bauarbeiter? Ich habe gesagt: Nein, ich mische eine Band. Der Arzt: Jetzt nicht mehr.
Du hattest selbst eine Band, Die Unbekannten, und Ihr seid dann zusammen mit den Hosen in Budapest aufgetreten. Erzähl mal!
Jochen und ich waren mit Malaria in Wien. Ich habe Jochen vorgeschwärmt, wie toll es in Budapest ist. Wir sind dann in der Nacht rübergefahren, als die Mädels schliefen, es waren ja nur zwei Stunden. Wir haben ein paar Leute vom Artist Club getroffen und diskutiert, ob man dort ein Konzert machen könnte. Platz war für maximal 200 Leute, von Geld keine Rede.
Eure Verhandlungen waren erfolgreich?
Das Konzert hat stattgefunden. Die Anreise war allerdings etwas schwierig. Unser Wagen war so beladen, dass der Anhänger tief auf der Straße hing. Und irgendetwas stimmte mit dem Tank nicht, so dass wir jede Stunde neu tanken mussten. Die Hosen haben sich kaputt gelacht und gesagt: Wir werden es niemals schaffen bis Budapest.
Wie verlief die weitere Fahrt?
Während wir durch die triste Transitstrecke fuhren, ist uns das Benzin ausgegangen. Wir standen mitten in der Pampa, alle Sicherungen im Auto waren durchgebrannt, und es passierte nichts. Dann kam ein Österreicher im Wohnwagen vorbei und sagte: Ich kann Euch einen Liter Benzin für 50 Mark verkaufen. Wir hatten keine andere Wahl. Dann sind wir losgefahren und stellten fest, dass nur zwei Minuten um die Ecke eine Tankstelle gewesen wäre.
Dann seid Ihr aber durchgekommen?
Der Tankwart, der den Tankdeckel abschraubte, verlor diesen aus der Hand, und er fiel so unglücklich zwischen zwei Teile, so dass das Hinterrad abgebaut werden musste. Es war ein riesiger Kampf, den Deckel wieder rauszukriegen. Ich habe gedacht, wir kriegen das nie hin. Irgendwie passierte uns auf Tour immer so etwas...
Was erwartete Euch in Budapest?
In der Zwischenzeit wollten das Konzert so viele sehen, dass es vom Artist Club in den Kogasz Club verlegt werden musste. Der neue Konzertort war in der Karl-Marx-Universität. Es kamen auch einige sehr aggressive Redskins zu dem Konzert, so genannte Bunkos – ein hartes Publikum. Wie auch immer: Wir waren die perfekte Vorband für die Toten Hosen. Nach uns war jeder gut (lacht).
Wie verlief der Konzertabend?
Als die Toten Hosen gespielt haben, haben ein paar Jungs die Schlagzeug-Maschine geklaut. Dafür haben wir jede Menge Geld als Gage bekommen. Als wir hinterher essen gegangen sind, haben wir einfach mal alles bestellt, was auf der Karte stand. Hinterher war aber immer noch Geld übrig. Da haben wir Essen für zu Hause gekauft und das in unseren Anhänger geladen. Dann ist uns aber der Schlüssel zum Anhänger abgebrochen. Es war auf jeden Fall nie langweilig in diesen Tagen (lacht).
Wo seid Ihr noch zusammen aufgetreten?
Einmal haben wir in Dachau gespielt, eigentlich ein ganz schöner Ort. Es hatte aber natürlich einen finsteren Beigeschmack. Als Jochen zum ersten Mal erwähnte, dass wir in Dachau spielen würden, hatte ich sofort das Konzentrationslager im Kopf. Eine schlimme Vorstellung. Das Konzert war dann aber ganz gut. Und das KZ war auch in einem anderen Stadtviertel.
Du hast 1983 das erste Konzert der Toten Hosen in der DDR organisiert. Woher stammten deine Kontakte?
Ich habe Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in der DDR einige Freunde kennengelernt. Und ich habe recht bald gemerkt, dass es dort keine Konzerte gibt. Es waren punkige Leute, aber sie hatten ihre Schwierigkeiten mit dem Staat. Die Behörden in der DDR fanden Punk-Rock gar nicht schicklich. Für sie war es ein Zeichen der kapitalistischen Gesellschaft. Sie sagten: Die Arbeitslosigkeit im Westen treibt die Leute in den Punk-Rock. Deswegen sollte im Arbeiter- und Bauernstaat, wo jeder arbeitete, kein Punk-Rock existieren.
Welche Erfahrungen hast Du mit der Volkspolizei gemacht?
Die DDR-Behörden wollten immer alles kontrollieren. Schon wer ein Nietenarmband trug, bekam Alexanderplatz-Verbot. Das war der Vorzeigeplatz, da sollte niemand einen Punk erblicken. Aber: Punk-Rock ließ sich nicht kontrollieren. Wir haben uns immer am Stadtrand getroffen, wo uns die Behörden in Ruhe gelassen haben.
Wann hattest Du die Idee, dort ein Konzert zu veranstalten?
Einmal habe ich bei einem unserer Treffen beim Biertrinken einen langhaarigen Hippie getroffen. Er erzählte mir, dass er eine der wenigen E-Gitarren in der DDR besaß. Um ein solches Instrument zu besitzen, musste man einen speziellen Schein vom Staat haben. Ich habe ihn gefragt, wo er denn auftrete. Und er erzählte mir von einer Blues-Messe.
Was war das für eine Veranstaltung?
Sie nahmen ihre Instrumente und spielten in einer Kirche. Das war eine Form von stiller Protest gegen das System. Und es wurde geduldet von der DDR-Regierung. Es war ein Gottesdienst in der Kirche, aber sie konnten Songs spielen von Bob Dylan oder Eric Clapton. Als er mir davon erzählte, habe ich ihn sofort gefragt: Wo ist die Kirche?
Wie bist Du das historische Projekt konkret angegangen?
Ein paar Wochen später bin ich mit meinen Freunden zu dem Pfarrer gegangen und habe erstmal gefragt, ob ich mit meiner Band, Die Unbekannten, dort spielen könnte. Er hat gesagt: „Es wäre vielleicht möglich, aber es ist ein Gottesdienst, kein Konzert.“ Für uns war es dann erstmal ein Problem, die Instrumente zu besorgen.
Woher kamen die Instrumente?
Wir können uns heute gar nicht vorstellen, wie schwierig das für die Leute in der DDR war. Meine Freunde haben das aber irgendwie organisiert. Sie haben andere Bands im Osten angefragt, zum Beispiel Planlos oder Feeling B, die späteren Rammstein. Und dann haben wir im Gemeindehaus der Erlöserkirche in Rummelsburg tatsächlich dieses Konzert gemacht. Die Behörden glaubten, die DDR-Band Planlos würden auftreten.
Wie habt Ihr es geschafft, dass die Hosen als Band in die DDR einreisen konnten?
Klar war: Wir durften nicht mit einer riesengroßen Gruppe von Leuten rüberfahren. Und in der DDR waren die Menschen viel konservativer gekleidet. Wir mussten uns also auch entsprechend anziehen. Die Band frisierte ihre Haare etwas glatter als üblich. Wir durften auf der Straße nicht sonderlich auffallen. Ja, und dann haben uns die Grenzer wirklich rübergelassen.
Wie ist ein solches Konzert einer BRD-Band zu jener Zeit einzuordnen?
Für meine Freunde und mich war das ein unfassbarer Moment! Uns war bewusst, dass wir etwas gegen den Staat organisierten. Zu jeder Zeit konnte die Stasi durch die Tür kommen, die Bühne stürmen und uns alle verhaften. Es war klar, wenn so etwas passierte, dass dann die Leute in der DDR viel mehr Schwierigkeiten bekämen als wir. Die Spannung war zu spüren. Als die Hosen spielten, kamen mir die Tränen. Ich konnte es nicht glauben, wir hatten es geschafft!
War Euch auch die historische Dimension bewusst?
So haben wir gar nicht gedacht. Wir wussten zu dem Zeitpunkt auch gar nicht, dass es das allererste Mal war, dass eine West-Band illegal in der DDR auftrat. Klar waren schon West-Bands im DDR-Fernsehen aufgetreten, aber das war dann eher Boney M. Dass die Toten Hosen, eine Punk-Band aus Düsseldorf in einer Kirche in Ost-Berlin spielte, war eine absolute Premiere.
Wann wurde Euch bewusst, was Ihr da realisiert hattet?
Im Nachhinein wurde es uns immer wieder erzählt, was für ein besonderes Ereignis das war. Insbesondere auch, weil es den punkigen Leuten in der DDR sehr viel Mut gemacht hat. Mehr als das Konzert selbst, zählte, dass alle Mut daraus ziehen konnten weiterzumachen, Bands zu gründen und zu musizieren. Das Konzert hat die Leute sehr motiviert.
Fünf Jahre später haben die Hosen ein zweites Mal in der DDR gespielt. Was war anders?
Es war wieder eine Blues-Messe, diesmal in der Hoffnungskirche in Berlin-Pankow. Die Vorgruppe „Die Vision“ hatte es als Benefizkonzert für rumänische Kinder deklariert. Die Hosen waren inzwischen viel bekannter, auch unter den Punks in der DDR. Tags zuvor hatten sie in West-Berlin einen Benefiz-Gig für meinen Freund Trevor Wilson und sein Fanzine „Ich und mein Staubsauger“ gespielt.
Trotzdem konntet Ihr den Auftritt geheim halten?
Die Stasi hatte offenbar Wind davon bekommen, dass irgendetwas in Planung ist, wusste aber nichts Genaueres. Wenn man in die Stasi-Unterlagen schaut, scheint es so, als ob ihr Informeller Mitarbeiter bewusst Informationen zurückgehalten hat, weil er das Konzert selbst sehen wollte.
Wie viele „Gottesdienstbesucher“ konntet Ihr zählen?
Für die Leute aus der DDR, die sich für Punk interessierten, war es kein echtes Geheimkonzert, die wussten schon alle darüber Bescheid. Wir hatten 100 Leute persönlich eingeladen, am Ende erschienen an einem kalten Samstagmorgen 600 in der Kirche. Die Volkspolizei blieb der Menschenauflauf natürlich nicht verborgen, und so wurde das Konzert kurz vorher abgesagt. Es war eine riesige Enttäuschung für alle.
Ihr habt dann überlegt, wie der Tag noch zu retten ist?
Ja, es war eine verfahrene Situation. Uns war aber klar, dass die Vopos nicht wussten, wie die Hosen aussehen. Wir haben dem Pfarrer dann gesagt, dass er ansagen soll, dass die Hosen nicht spielen dürfen, sondern eine Band aus Dresden. Und dann sind wir den DDR-Punks hinterher gelaufen, die schon auf dem Heimweg waren, und haben ihnen zugezwinkert: „Kommt zurück, eine Band aus Dresden tritt auf.“ Die meisten von ihnen haben den Wink verstanden und sind zurückgekehrt.
Wie lief das Konzert?
Es fand draußen auf einem Spielplatz neben der Kirche statt, es wirkte alles ziemlich improvisiert. Es ging tatsächlich eine Zeit lang gut, und die Hosen spielten ihre größten Hits. Irgendwann wurde unser Manöver aber dann doch entdeckt, und das Konzert wurde abgebrochen. Wir sind dann noch im Haus Budapest auf der Karl-Marx-Allee essen gegangen.
Eine Gruppe von Punks 1988 im gehobenen DDR-Lokal – wie war das möglich?
Ein Freund von mir von der US Army hatte in der Woche zuvor einen Tisch für 15 Personen reserviert. Das konnte er wegen seines Militärstatus. Offiziell angemeldet waren wir als „15 hochrangige Militärs der US Army“. Als wir dann mit über 20 Punks dort aufliefen, starrte mich der Oberkellner böse an: „Wo sind die amerikanischen Soldaten?“
Ihr duftet aber trotzdem bleiben...
Wir hatten genug harte DDR-Währung mitgebracht. Für viele DDR-Punks war es das erste Mal, dass sie diesen Laden betreten durften. Wir bestellten wieder mal die Speisekarte rauf und runter, fläzten uns in den Stühlen und tranken Bier aus der Flasche. Es war ein toller Abend!
Wie habt Ihr die DDR wieder verlassen?
Wir sind kurz vor Mitternacht aus dem Restaurant raus und haben uns auf den Weg zur Grenze gemacht. Campino wurde am Grenzübergang Friedrichstraße gestoppt und aufgefordert, seine Wollmütze auszuziehen. Als er sie lüpfte, kam darunter seine abstehenden roten Stachelhaare zum Vorschein. Der DDR-Grenzer brüllte ihn an: „Welcher Idiot hat Dich reingelassen?“ Campino antwortete: „Einer von Euren Idioten.“ Die Grenzer haben dann erstmal seine Personalien festgestellt.
Welche Erinnerungen hast Du sonst noch an die 80er Jahre, wenn Du an die Hosen denkst?
Als die Hosen „Eisgekühlter Bommerlunder“ als Single veröffentlichten, saß ich bei Jochen Hülder in der Wohnung und habe die kleinen Bommerlunder-Fläschchen mit eingetütet.
Dein lustigstes Tourerlebnis?
Die Hosen sollten ein Konzert im Sauerland spielen. Als wir vor Ort eintrafen, entpuppte sich der Auftrittsort als viel zu groß und die PA war auch nicht geeignet. Wir luden uns also kurzerhand das Catering ein und sagten dem Veranstalter, dass wir uns nur nochmal frischmachen müssten. Und dann traten wir aufs Gaspedal...
Wie endete die Geschichte?
Als wir also auf dem Heimweg waren, sahen wir von einem Berg, dass Jochen Hülder gerade mit dem Auto auf dem Weg zum Konzert war. Wir versteckten uns mit unserem auffälligen gelben Opel-Tourbus im Wald, bis er vorüber gefahren war. Damit er uns auch wirklich nicht sah, haben wir den Bus sogar mit Zweigen dekoriert. Er musste dem Veranstalter dann eine Entschädigung zahlen.
Der Dokumentarfilm „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989“ lief ab dem 21.05.2015 im Kino. Mehr Informationen hier: b-movie-der-film.de